Nach Toreschluss - die Wochenendsatire Wartespaß-Geschenke

Wuppertal · Neulich brauchte ich in der Gemüseabteilung psychologische Betreuung. Ich hatte Paprikaschoten ausgewogen und dabei festgestellt, dass sie 10,99 Euro pro Kilo kosten sollten. Solche Preise gab es früher nur für Lebensmittel, die gelebt haben, bevor sie in den Laden kamen. Bei diesen Tarifen überlegt man ja ernsthaft, ob man die Einkäufe statt im Kühlschrank nicht besser im Tresor lagert.

Roderich Trapp.

Foto: Wuppertaler Rundschau/Max Höllwarth

Um das zu können, muss man sie aber erstmal haben. Das kann komplizierter sein, als man meint. Ein Bekannter aus Ronsdorf wollte zum Beispiel jüngst einen dieser neuen Lebensmittel-Lieferdienste ausprobieren, die einem Tomaten und Vorderschinken mit kleinen Elektrowägelchen quasi bis in die Speisekammer fahren. Dieses Serviceangebot ist bekanntlich besonders bei Hipster-Familien populär, die dann weniger Zeit für analoge Einkäufe aufwenden müssen und so mehr Quality-Time vor diversen Bildschirmen verbringen können.

Die Vorstellung, sich mit ein paar Klicks in Nullkommanichts den Kühlschrank füllen zu lassen, relativierte sich allerdings sehr schnell. Denn der Lieferdienst dankte dem potenziellen Besteller für sein Interesse und teilte ihm mit, dass er sich nunmehr auf Platz 1.689 der Kunden-Warteliste für diese Region befände. Offenbar gibt es derzeit nicht genug Wägelchen und Fahrerchen, die für ein Minestlohnchen Lebensmittelkisten durch die Gegend schleppen und mit Autos ohne Knautschzone im Slalom durch den Großstadtverkehr dillern wollen.

Die gute Nachricht war aber, dass man dem zukünftigen Kunden die Zeit bis zur ersten Bestellung mit einem „Wartespaß-Geschenk“ versüßen wolle. Er dürfe sich schon jetzt auf zwei Bananen als Gratis-Zugabe bei der Premieren-Lieferung freuen und werde kontinuierlich noch weitere mildtätige Gaben erhalten, so lange er brav auf der Warteliste bleibe.

Das war vor zwei Monaten, in denen der Ronsdorfer längst verhungert wäre, wenn er auf eine baldige Bestellmöglichkeit gewartet hätte. Immerhin ist er auf der Warteliste inzwischen aber um respektable 60 Ränge auf Platz 1.629 vorgerückt und hat dabei nach Auskunt des Lieferdienstes bis jetzt folgende Wartespaß-Geschenke eingesammelt: „5 Bananen, 500 Gramm Trauben hell kernlos, 140 Gramm Leerdamer Original-Scheiben und 1 Liter Bären-Marke frische Milch 1,8 % Fett.“

Ich habe das mal hochgerechnet: Wenn die in dem Tempo weiter expandieren, wird der schmachtende Ronsdorfer gegen Ende 2028 erstmals beliefert. Dann muss allerdings ein etwas größeres Fahrzeug kommen, weil er in den bis dahin vergangenen 4,7 Jahren Wartespaß-Geschenke in sehr prominenter Menge gesammelt hat. Ich komme ungefähr auf 140 Bananen, vier Kilo Leerdamer, 28 Liter Milch und 14 Kilo helle Trauben, die selbst kernlos kaum alle gegessen werden könnten, bevor sie zu Wein vergären. Ich würde da bei der ersten Lieferung mit Blick auf die Käse- und Bananenberge also höchstens noch drei Paletten Underberg ordern, um den Mindestbestellwert zu erreichen ...

Vor dem Hintergrund der dramatischen Entwicklungen im Lebensmittelbereich muss ich die Prinzipien einer Dame loben, die anonym bleiben möchte, aber mit mir verheiratet ist. Sie war immer schon sehr nachhaltig aufgestellt und nimmt Mindesthaltbarkeitsdaten daher eher als eine Art unverbindlichen Vorschlag wahr. Das bedeutet in der Praxis: So lange der Joghurt nicht aus eigener Kraft vom Kühlschrank zum Mülleimer läuft, bleibt er bei uns auf jeden Fall im Gebrauch.

Von daher war ich auch entspannt, als neulich die Mitteilung kam, in unserem Lieblings-Ketchup seien Spuren giftiger Schimmeltomaten gefunden worden. „Dat macht nix“, habe ich da gesagt, „die muss ich doch auch ohne Ketchup ständig essen und lebe immer noch.“

Aus dem Prinzip, nichts vorzeitig wegzuwerfen. hat übrigens ein weiterer Lieferdienst ein Geschäftsmodell gemacht. Er warb dafür neulich großflächig mit Sprüchen wie „Unsere Snacks sind wie deine Mutter: bisschen drüber.“ Ich könnte mir vorstellen, dass die Wartezeiten bis zur Erstbestellung bei denen nicht ganz so lang sind ...

Bis die Tage!