Nach Toreschluss - die Wochenendsatire Die Zahnpolizei
Wuppertal · Die elterliche Komplettumsorgung von Kleinkindern hat heutzutage ein Niveau erreicht, das ebenso atembe- wie nervenraubend ist. Früher liefen Kinder gerne so mit, jetzt laufen alle um sie herum, um permanentes Wohlbefinden herzustellen.
Ich kann das beurteilen, weil wir mit einem Enkel beglückt wurden, der zweieinhalb Jahre alt, überaus possierlich und nicht nur deshalb Gegenstand nahezu uneingeschränkter Aufmerksamkeit und Zuwendung seiner Umgebung ist. Das setzt natürlich auch uns als Großeltern unter Druck, wenn wir im frühkindlichen Betreuungsalltag Dinge wie die störungsfreie Einnahme einer Mahlzeit oder abendliche Hygienemaßnahmen realisieren wollen.
So etwas ist nämlich meist nur noch umsetzbar, wenn der Vorgang durch ein kreatives Entertainmentprogramm unterstützt wird. Ich bin darin sehr gut. Neulich beispielsweise gestaltete sich der geplante Verzehr eines Brötchens schwierig und drohte in sirenenartiges Geheul auf dem Niveau des bundesweiten Probealarmtags von vorletzter Woche zu enden. Geistesgegenwärtig ging ich in die Küche, schnappte mir die vom Familienfrühstück übergebliebene riesige braune Brötchentüte, schnitt drei Löcher für Augen und Mund rein, zog sie über den Kopf und rief mit tiefer Stimme: „Hier kommt der Brötchenmann! Will Brötchen!“
Unter Ausstoß von Schmatzgeräuschen näherte ich mich sodann dem ob dieses Auftritts unmittelbar begeisterten Kind, das sich die Brötchenhälfte klaglos mit dem Brötchenmann teilte. Optisch hatte die Kunstfigur zwar Ähnlichkeit mit einem in den Matsch gefallenen Ku-Kux-Klan-Mitglied, war aber in der kindlichen Wahrnehmung trotzdem ganz offensichtlich ein großer Hit.
Ich wollte die Tüte gerade hoch zufrieden abziehen, als der keinerlei Widerspruch zulassende Ruf „Nochmal Brötchenmann!“ ertönte. Und es sollte nicht der letzte bleiben ...
Jetzt weiß ich nicht, ob Sie sich vorstellen können, wie warm einem wird, wenn man den Kopf anderthalb Stunden in einer Brötchentüte stecken hat. Deshalb ist mir meine andere Erfindung auch deutlich lieber. Sie löst das Problem, dass der abendliche Zahnputz eher unpopulär ist, weil kleine Kinder danach ja ins Bett müssen. Deshalb setze ich mir zum fraglichen Zeitpunkt eine Kappe in Tarnfarben und eine reflektierende Sonnenbrille auf, ziehe eine martialisch aussehende alte Lederjacke an, nehme eine Taschenlampe in die Hand und aktiviere auf dem Handy den eigens heruntergeladenen Sound eines Martinshorns.
So ausgestattet und als Opa nicht mehr zu erkennen, patrouilliere ich durch die Wohnung und rufe „Achtung, Achtung, hier kommt die Zahnpolizei!“ Finde ich das Kleinkind, leuchte ich unbarmherzig den Mund aus, entdecke dort schreckliche Bazillen mit Fühlern und schicke es ins Bad, wo darob mit großer Inbrunst geputzt wird. Beim Kontrollgang wird diese Leistung von der Zahnpolizei dann natürlich umfangreich belobigt.
Der Erfolg ist durchschlagend – der Familienzahnarzt als unmittelbarer Vorgesetzter der Zahnpolizei war bei Carlos letztem Vorsorgetermin sehr zufrieden.
Vorige Woche allerdings überraschte der Kleine mit der Idee, die Zahnpolizei müsse unbedingt draußen noch nach anderen Kindern suchen, während er selbst den Putz verrichte, und dann wieder an der Haustür klingeln. Ich begab mich also in der Dämmerung über die Terrasse ins Freie und kletterte mangels Schlüssel über das Gartentörchen auf die Straße.
Nun muss man natürlich einräumen, dass eine finstere Gestalt, die im Halbdunkel plötzlich mit Kappe, Sonnenbrille, Lederjacke und Taschenlampe aus einem Garten gesprungen kommt, durchaus geeignet ist, Missverständnisse auszulösen. Deshalb danke ich der Frau mit dem roten Auto, die gerade von unseren Nachbarn wegfuhr und so entgeistert guckte, dass sie nicht die Polizei alarmiert hat.
Meine Frau meint zwar, dass in den letzten Tagen doch auffallend oft Streifenwagen sehr langsam durch unsere Straße gefahren wären. Aber wahrscheinlich sind das nur die Kollegen von der motorisierten Zahnpolizei ...
Bis die Tage!