Nach Toreschluss - die Wochenendsatire Der Triumph der Jogginghose
Wuppertal · 2020 wurden in Deutschland 43 Prozent mehr Jogginghosen verkauft als im Jahr davor. Leider dürfte das nicht das Ergebnis einer beispiellosen bundesweiten Fitness-Welle sein, sondern wesentlich an Corona liegen.
Weil alle mehr zu Hause sind und die meisten auch noch irgendwo zwischen Bügelbrett und Edelstahl-Spüle im Homeoffice arbeiten, spielt formelle Kleidung keine große Rolle mehr. Selbst bei Videokonferenzen reicht oben Krawatte und untenrum klöngelig. Dafür gibt es mittlerweile sogar den Fachbegriff „Waist-up dressing“, was übersetzt „überm Wanst angezogen“ heißt.
Die klassische Jogginghose hat traditionell zwei entscheidende Vorteile: Dank ihres an einem Mehlsack orientierten Schnitts passen Fötte aller Größen und Formen problemlos in sie rein. Und durch ihre schier unerschöpfliche Elastizität ist sie an Bequemlichkeit höchstens noch von Lehrern im Vorruhestand zu überbieten. Diesen Pluspunkten steht als einziger Nachteil gegenüber, dass die meisten Menschen in einer Jogginghose aussehen wie der o-beinige Vorstand eines Messie-Haushalts. Deshalb wurden Jogginghosen in der Öffentlichkeit lange nur von Laiendarstellern in RTL-Doku-Soaps und Patienten auf Krankenhausfluren getragen.
Zudem hatte das Must-Have für Couch-Potatoes jahrelang ein Image-Problem wegen Karl Lagerfelds legendärem Satz „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“. Ich persönlich fand ja immer schon, dass sich Lagerfeld statt mit Jogginghosen besser mit seinen abstrusen Hemdkragen beschäftigt hätte, dann wäre er nicht daran erstickt. So musste er aber immerhin nicht mehr miterleben, dass es den Leuten offensichtlich zu lästig geworden ist, sich für draußen extra umzuziehen, und die Jogginghosen deshalb plötzlich ein heißer Modetrend auf den Laufstegen dieser Welt geworden sind.
Neulich bummelte sogar Heidi Klum in einer schlabberigen Jogginghose durch Berlin, deren grau-grüne Musterung noch trister war als die Uniform der DDR-Grenztruppen, was Farbforscher bisher für unmöglich hielten. Früher sagten Menschen mit so einem Erscheinungsbild meistens Sätze wie „Hasse mal ‘ne Mark?“. Mit einer Mark würde Heidi aber nicht auskommen, weil Jogginghosen wie die von ihr getragene nicht mehr Jogginghosen, sondern Sweat-Pants heißen und von Gucci sind, weshalb sie auch nicht 19,90, sondern um die 900 Euro kosten.
Das ist tendenziell überraschend, weil die zur Haute-Couture gewordenen Kartoffelsäcke noch genauso aussehen wie früher und deshalb nicht viel Entwurfsaufwand da drin stecken kann: Kordelzug oben, Strickbündchen unten und dazwischen ein Haufen unförmiger Stoff, der Spuren von Baumwolle enthalten kann. So wäre man früher in keine Disco reingekommen, heute dagegen kommt man damit sogar in „Gala“, „Brigitte“ und die „Vogue“ gleichzeitig. Vielleicht haben wir nicht die Kontrolle über unser Leben, sondern nur über die Mode verloren ...
Bis die Tage!