Kommentar zum Vorschlag einer sozialen Pflichtzeit Ein überfälliger Vorstoß – auch im Sinne Wuppertals

Wuppertal · Da hat der Bundespräsident ja mal ein echtes Fass aufgemacht: Sein Vorschlag, eine „soziale Pflichtzeit“ für junge Menschen einzuführen, hat unmittelbar zu heftigsten Diskussionen geführt. Meine Meinung dazu: Frank-Walter Steinmeier trifft den Nagel auf den Kopf!

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (re., hier mit Professor Dr. Hans J. Lietzmann von der Bergischen Uni).

Foto: Bundespräsidialamt

Als Angehöriger der Generation Wehr-/Zivildienst frage ich mich schon lange, warum unsere Gesellschaft seit der Aussetzung des Wehrdienstes vor elf Jahren komplett darauf verzichtet, die junge Generation gesellschaftlich in irgendeiner Form in die Pflicht zu nehmen. Dass eben diese Pflicht auch jetzt wieder mit dem Argument, man dürfe Persönlichkeitsrechte nicht einschränken, pauschal vom Tisch gewischt werden soll, kann ich nicht verstehen.

Wo waren die Freiheits-Verteidiger, als wir in den 80er Jahren für übrigens weit mehr als ein Jahr in Kasernen, Altenheime oder Krankenhäuser eingerückt sind? Und wie verhält sich dieser Freiheits-Verlust eigentlich im Verhältnis zu seiner Wirkung auf die Persönlichkeit und die Gesamtgesellschaft?

Roderich Trapp.

Foto: Wuppertaler Rundschau

Ich weiß, dass so gut wie niemand seinerzeit gerne zur Bundeswehr gegangen oder „Zivi“ geworden ist. Und trotzdem sehen fast alle, die ich kenne, genau diese Zeit aus heutiger Perspektive als sehr prägend und lehrreich für ihre Biographie an. Weil man eben aus der Komfortzone gerissen und in ganz unterschiedlicher Form mit dem echten Leben und der sozialen Wirklichkeit konfrontiert wurde. Egal, ob am Sterbebett im Altenheim oder zwischen Abiturienten, Malochern und Vorbestraften in der miefenden Acht-Mann-Stube der Bundeswehr.

Und das sieht wohlgemerkt eine Generation so, die noch nicht analog vereinsamt war, nicht in Elterntaxis zur Schule fuhr und in den Ferien und neben der noch nicht in Regelstudienzeiten gepressten Uni selbstverständlich jobbte. Wie nützlich wäre eine Pflichtzeit dann erst für junge Menschen von heute, deren akademische Speerspitze im Zweifel schon mit 21 als Bachelor quasi aus dem Kinderzimmer auf den Arbeitsmarkt geworfen wird? Die Betroffenen werden das natürlich ganz anders sehen. Genau wie wir – damals.

Um es klar zu sagen: Wer heute in Deutschland aufwächst, der kann sich zumindest im Grundsatz darauf verlassen, dass er lebenslang in schwierigen Situationen staatliche Hilfe bekommt. Ob auf dem Weg zum Schulabschluss, bei Ausbildung- oder Studium oder mit Blick auf die Unwägbarkeiten des Arbeitsmarktes.

Wäre es da nicht mehr als angemessen, diesem Staat dafür verbindlich etwas zurückzugeben? Ich finde, ja. Zumal der Staat es nötig hat. Und um auf Wuppertal zu kommen: nicht nur der Staat, auch die Stadt.

Es ist unbestritten, dass der Fachkräfte- und Personalmangel speziell (aber nicht nur) Einrichtungen im sozialen Sektor an den Rand der Handlungsfähigkeit gebracht hat. Städte mit einer Sozialstruktur wie Wuppertal trifft das besonders. Warum entlasten wir die Fachkräfte nicht, indem junge Menschen in diesem Bereich Hilfsaufgaben übernehmen und sich dann vielleicht sogar für Berufsperspektiven in diesem Bereich interessieren? Warum schicken wir die gerade Erwachsenen nicht als Unterstützer zur Tafel, die händeringend Kräfte sucht?

Wieso helfen wir den Vereinen nicht mit „Pflichtis“, wenn sie keine „Bufdis“ finden? Warum soll sich der Nachwuchs nicht um Flüchtlinge kümmern, die Barmer Anlagen oder den Deweerthschen Garten sauber machen und den Wert profaner Arbeit schätzen lernen?

Ich halte das nicht nur für zumutbar, sondern für absolut notwendig. Bravo, Herr Steinmeier!