Gastkommentar zur Grundsteuerreform Über Versäumnisse und Missverständnisse

Wuppertal · Die Welle der Aufregung war groß, nachdem in Wuppertal dieses Jahr erstmalig die 120.000 neu festgesetzten Grundabgabenbescheide verschickt worden sind. Ist das berechtigt? Die Rundschau hat den Immobilien-Experten Frank Müller um eine Einschätzung gebeten.

Frank Müller.

Foto: Bettina Osswald

Er ist seit 2015 stellvertretender Vorsitzender im Gutachterausschuss für Grundstückswerte in der Stadt Wuppertal sowie seit 2023 Mitglied im Bau- und Immobilienausschuss der Deutschen Industrie- und Handelskammer in Berlin – und in diesen Funktionen in Sachen Grundsteuer an vorderster Front aktiv.

„Vorab bemerkt: Es ist ein Gerücht, dass die Politik die Neuberechnung der Grundsteuer veranlasst hat, um mehr Einnahmen zu generieren. So war es definitiv nicht. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht die Politik im April 2018 ultimativ aufgefordert, die bis dahin höchst ungerechte Berechnungsgrundlage der Grundsteuer zu aktualisieren und an die heutigen Wertverhältnisse anzupassen. Die bis zum Jahr 2024 verwendete Datenbasis stammte überwiegend aus dem Jahr 1964.

Bundespolitik hat jahrelang nicht reagiert

Da allen Politikern in Berlin sonnenklar war, dass man sich bei dem Thema nur den Unmut der Wähler zuziehen kann, hatte man schon entsprechende Urteile des Bundesfinanzhofes aus dem Jahr 2010 ignoriert. Der eigentliche Aufreger sollte also sein, dass die Politik jahrelang nicht auf Urteile der höchsten Instanz der Finanzgerichtsbarkeit unseres Landes reagiert hat.

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom April 2018 musste die Politik aber handeln, die politische Trägheit kehrte sich jedoch keineswegs in eine angemessene Dynamik um. Zwar hat der Bundesrat noch im November 2019 dem Reformbeschluss des Bundestages zugestimmt, jedoch wurde erst im Juni 2021 das Umsetzungsgesetz zur Grundsteuerreform beschlossen. Dabei war jedoch die genaue inhaltliche Ausgestaltung noch immer nicht final geregelt.

Außerordentlich schlecht gemachtes Formular

Die Finanzämter hatten dann bis zum Juni 2022 Zeit, die Formulare zu entwickeln, die von den Steuerpflichtigen auszufüllen sind. Damit waren weitere riesige Ärgernisse für die Steuerpflichtigen verbunden. In einem wirklich außerordentlich schlecht gemachten, komplizierten und unübersichtlichen Formular waren die Steuerpflichtigen aufgefordert, die Grundsteuerklärungen im Zeitraum vom 1. Juli bis zum 31. Oktober 2022 abzugeben.

Nachdem sich der Gesetzgeber vier Jahre Zeit ließ, seine Hausaufgaben zu machen, durfte der Steuerbürger dann innerhalb von vier Monaten Vollzug melden. Erwartungsgemäß hat das nicht funktioniert – und der Gesetzgeber die Frist bis zum 31. Januar 2023 verlängert.

Sortieraufgabe wurde auf die Bürger verlagert

Die Menschen haben sich jedoch nicht nur an den kurzen Fristen gestört. Denn die in dem Erklärungsformular abgefragten Daten sind eigentlich nahezu vollständig bei Behörden verfügbar (Grundstücksgrößen, Bodenrichtwerte, Grundbuchblattnummern, Miteigentumsanteile, Flur- und Flurstücknummern). So wurde eine Sortieraufgabe behördlich verfügbarer Daten Millionen Steuerpflichtigen auferlegt, die deshalb zu Recht ungehalten waren.

Ab etwa Mitte des Jahres 2023 ergingen dann die ersten Grundsteuerwert- und Grundsteuermessbetragsbescheide. Der Grundsteuerwert stellt zunächst nur eine Basis für weitergehende Folgeberechnungen dar. Der Grundsteuerwert sollte jedoch schon annähernd dem aktuellen Wert des Grundbesitzes entsprechen. Der Grundsteuermessbetrag ergibt sich aus der Multiplikation des Grundsteuerwertes mit der Messzahl. Dieser Steuermessbetrag wird dann mit dem Hebesatz multipliziert, den die Gemeinde im Rat beschließt (in Wuppertal aktuell 947 % für die Grundsteuer B).

Eine Grundsteuerberechnung stellt sich also beispielhaft wie folgt dar: Grundsteuerwert 400.000 Euro mal Messzahl 0,31 v.T. (= 0,031 Prozent) mal 947 Prozent = Grundsteuer neu: 1.174,28 Euro

Doppelter Hebesatz ist keine Erhöhung

Ein mächtiger Aufreger in Wuppertal ist, dass der Grundsteuerhebesatz von 620 auf 947 Prozent angehoben wurde. „Die Stadt hat die Grundsteuer um über 50 Prozent erhöht“, hört man immer wieder. Die Aufregung ist jedoch völlig unnötig. Da sich der Basiswert reduziert hat, der mit 947 Prozent multipliziert wird, ist die Grundsteuer in vielen Fällen niedriger als zuvor.

Möglicherweise spricht ein Wert von 947 Prozent sogar für eine sorgsam errechnete Kalkulation in der Kämmerei, deren erklärtes Ziel es war, das gesamte Grundsteueraufkommen auch nach der Reform konstant zu halten. Früher hat man im Stadtrat immer glatte Steuersätze beschlossen (zuvor 490 Prozent bis 2011, 510 Prozent bis 2014, 620 Prozent bis 2024).

Gewinner, Verlierer und vermeintliche Ungerechtigkeit

Bekanntlich gibt es nun Gewinner und Verlierer der Reform. Einige Steuerpflichtige kommen deutlich günstiger weg als zuvor, andere zahlen erheblich höhere Beträge. Dies ist jedoch nicht ungerecht. Ungerecht war vielmehr die in der Vergangenheit angewendete Berechnungsgrundlage. Dies lässt sich am Beispiel eines Bürogebäudes verdeutlichen: Für das 300 Quadratmeter große Bürogebäude mit fünf Pkw-Stellplätzen, zwei Garagen, auf einem über 750 großen Grundstück hat die Stadtkasse bislang jährlich eine Grundsteuer in Höhe von 156 Euro erhoben.

Das war unangemessen gering und ungerecht – zum Beispiel gegenüber vielen Wohnungseigentümern, die für ihre 80-Quadratmeter-Eigentumswohnung deutlich höhere Grundsteuern zu entrichten hatten. Nun fordert die Stadtkasse jährlich über 600 Prozent mehr, also etwa 1.040 Euro. Das ist eine üppige Erhöhung, jedoch kein Grund sich zu ärgern. Vielmehr hat der Eigentümer Anlass zur Freude, in den letzten zehn Jahren über 8.000 Euro gespart zu haben.

Bodenrichtwerte sind nicht für Steuerzwecke gedacht

Auch die anteiligen Bodenwerte in den Steuerbescheiden führen hier und da zu Ärger, der sich bei den Gutachterausschüssen und in den Finanzämtern entlädt. Die Finanzverwaltung berechnet die steuerlichen Bodenwerte anhand der Bodenrichtwerte. Die Bodenrichtwerte werden nicht für Steuerzwecke abgeleitet, sondern zum Zwecke der Immobilienbewertung. Innerhalb einer Richtwertzone dürfen die Werte um 30 Prozent abweichen. In einer Bodenrichtwertzone mit einem Bodenrichtwert in Höhe von 250 Euro pro Quadratmeter kann also ein Bewertungsgrundstück sowohl einen Bodenwert in Höhe von 175 als auch von 325 Euro besitzen.

Zusätzlich hat der Gesetzgeber geregelt, dass der Bodenrichtwert „die Mehrheit“ der Grundstücke berücksichtigen soll. Damit ist der Anspruch auf „absolute Richtigkeit für alle Flurstücke“ vom Tisch. Zusätzlich ist geregelt, dass für einzelne Grundstücke mit einer abweichenden Nutzung oder Qualität der Bodenrichtwert nicht gilt. Die Mitarbeiter der Finanzverwaltung sind aber gezwungen, die Bodenrichtwerte undifferenziert anzuwenden. Steuergerechtigkeit kann weder dort noch in den Gutachterausschüssen hergestellt werden. Das wird Aufgabe des Gesetzgebers und der Gerichte werden.

Wie Werte korrigiert werden können

Im Einzelfall ist diese Situation für den zur Kasse gebetenen Eigentümer ärgerlich. Beispielsweise werden nicht erschließbare Grundstücke im Hinterland von Sachverständigen üblicherweise nicht mit dem jeweiligen Bodenrichtwert bewertet, sondern mit erheblichen Abschlägen. Für die Grundsteuer ist jedoch ein Massenbewertungsverfahren in Gang gesetzt worden, was den Einzelfall und dessen Prüfung weitgehend ausschließt. Wie sollte das auch bei etwa 35 Millionen Grundsteuerklärungen funktionieren?

Die Rechtsprechung orientiert sich an § 20 des Bewertungsgesetzes. Nach dem hat jeder Steuerpflichtige die Möglichkeit, durch Gutachten einen niedrigeren Wert als den vom Finanzamt ermittelten nachzuweisen. Weicht die Festsetzung um 40 Prozent und mehr ab, wird dem Einspruch in aller Regel stattgegeben. Aber Obacht! Wenn der damit beauftragte Sachverständige nur einen um 35 Prozent niedrigeren Wert feststellt, bleibt es bei dem alten Bescheid – und die Kosten für den Sachverständigen sind auch weg. Nicht selten sind jedoch Abweichungen von 40 Prozent und mehr tatsächlich vorhanden. Auch in Wuppertal.“