Landwirtschaft am Marscheider Wald Familie Milow: „Kampflos geben wir das nicht auf“

Wuppertal · 129 Hektar Fläche verteilt auf sechs Standorte könnten in Wuppertal langfristig als Gewerbegebiete entwickelt werden. Was der Industrie Perspektiven bietet, gefährdet auf der anderen Seite Existenzen. Zum Beispiel den Pferdehof der seit Urzeiten in Marscheid heimischen Familie Milow.

Sonja Milow (r.) auf den Futterwiesen ihres Pferdepensionsbetriebs, der auch Tochter Nina (l.) später als Haupterwerb dienen soll.

Foto: Wuppertaler Rundschau/rt

Eigentlich ist es ein Bilderbuch-Beispiel für den sonst oft so schwierigen Generationswechsel in der Landwirtschaft: Mutter Sonja Milow (52) ist die Chefin des Pensionspferdebetriebs in der Hofgemeinschaft Marscheid. Ihre Tochter Nina (18) wurde im Wiesen- und Felder-Idyll östlich der Linde groß, half morgens vor Schulbeginn mit Begeisterung im Stall und studiert jetzt Agrarmanagement.

Mit einem klaren Ziel: „Ich möchte den Hof als Haupterwerb übernehmen.“ Sie würde damit eine der wenigen verbliebenen Wuppertaler Landwirtschaften erhalten und zugleich eine lange Familiengeschichte fortsetzen – seit 1790 existiert der Hof auf Marscheid, vor 100 Jahren kaufte ihn Sonja Milows Vater vom Onkel, der keine Kinder hatte.

Jetzt steht hinter diesen Plänen urplötzlich ein Fragezeichen. Denn die rund 20 Hektar (das entspricht ungefähr 25 Fußballplätzen), die Sonja Milow hier für die Pferdehaltung und den Anbau ihres eigenen Futters nutzt, stehen bei aktuellen Wuppertaler Überlegungen zur Ausweisung neuer Gewerbegebiete besonders im Fokus. Das Areal der Familie bildet das Gros der insgesamt 29 Hektar großen, so genannten „Potenzialfläche Jägerhaus/Linde“, die zusammen mit einem Bereich südlich von Lichtscheid jetzt mit besonderer Priorität auf ihre Eignung als Gewerbegebiet überprüft werden soll.

Der Druck dahinter ist groß, weil Wuppertal nicht nur rechnerisch 120 Hektar Gewerbeflächen für Neuansiedlungen oder Erweiterungen von Unternehmen fehlen. IHK und Wirtschaftsförderung prangern das immer wieder an.

Welche Areale dafür in Frage kommen könnten, haben Stadtverwaltung, Wirtschaftsförderung und Politik in zahlreichen Workshops ermittelt. Mit dem Ergebnis: Die Wiesen, Felder und Wälder östlich des bekannten Restaurants „Essen’z“ am Jägerhaus, die auch als Wander- und Naherholungsgebiet sehr beliebt sind, hält man für so geeignet, dass weitere Planungsschritte eingeleitet werden sollen. Im Vorgriff darauf wurde bereits eine erste Machbarkeitsstudie erstellt - mit unterschiedlichen Varianten im Hinblick auf Baugrundstücke und Verkehrsführungen auf dem hügeligen Gelände.

Von diesem jenseits der öffentlichen Wahrnehmung angelaufenen Prozess ahnte Sonja Milow lange nichts. Erst im Mai erhielt sie dann Post von der Stadt – mit der Information darüber, dass eine Reihe ihrer Flurstücke Gegenstand der beschriebenen Planungen sind. „Als ich dann angerufen habe, sagte man mir, dass wären ja bestimmt noch zehn oder 20 Jahre bis zur Realisierung. Aber wir denken hier in Generationen“, erinnert sich Sonja Milow an ihre ersten Schockmomente in der Auseinandersetzung mit dem Thema.

Konkret sind 75 Prozent ihrer Betriebsfläche betroffen – die besteht aktuell aus 14 Hektar eigenem Land sowie 6 Hektar gepachteter Fläche, fünf davon gehören der Stadt. Verkaufswillig ist sie selbst nicht, aber die Änderung der Flächenausweisung wäre für den Hof trotzdem existenzgefährdend. „So betroffen wie wir ist keiner“, hat sie festgestellt.

Ganz abgesehen von der wirtschaftlichen Seite hält sie den Eingriff in Fauna und Flora des auch als Kaltluftquelle fungierenden Landschaftsschutzgebiets für nicht verhältnismäßig. Zumal wegen der schwierigen Topographie und der Naturschutzaspekte wohl weniger als 30 Prozent der Nettofläche überhaupt gewerblich genutzt werden könnten. Für sie ist jedenfalls klar: „Kampflos geben wir das hier nicht auf!“

Mitstreiter hat Sonja Milow genug – auch über den Stadtteil hinaus. Zu der von der Marscheider Hofgemeinschaft initiierten Begehung des Areals kamen vor zwei Wochen rund 150 Menschen. Und die von Sonja Milow gestartete Petition gegen das Vorhaben haben bisher fast 7.000 Unterstützer gezeichnet. Im Stadtentwicklungsausschuss, der am 5. September über die vor der Sommerpause noch vertagte Potenzialflächen-Thematik diskutiert, werden ihr fünf Minuten Rederecht eingeräumt.

Für die Politik dürfte das nicht nur deshalb eine unbequeme Veranstaltung werden, denn auf der Agenda steht dann auch die Entscheidung über die nicht weniger umstrittene Wohnbebauung am Hipkendahl im Gelpetal. Die dortigen Anwohner haben sich gemeinsam mit den von den Gewerbegebiets-Planungen betroffenen Wuppertalern zur Initiative „Grün.Stadt.Grau“ zusammengeschlossen, die am Freitag (30. August) um 17 Uhr bei einer Demonstration vor dem Barmer Rathaus gegen die diversen Vorhaben Front machen will.