Interview mit Verteidiger Mustafa Kaplan WDG-Prozess: „Schießt über das Ziel hinaus“

Wuppertal · Am Mittwoch begann vor dem Landgericht der Prozess gegen einen Oberstufenschüler (17), der am 22. Februar 2024 am Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasium vier Schulkameraden mit einem Messer verletzt haben soll. Der Amokalarm hatte einen Polizei-Großeinsatz ausgelöst. Vor dem Verfahren, das aus Jugendschutzgründen nicht öffentlich geführt wird, sprach Rundschau-Autorin Sabine Maguire mit Mustafa Kaplan, dem Verteidiger des Angeklagten.

 Am Mittwoch im Fokus der Medien: Mustafa Kaplan, Strafverteidiger und Fachanwalt für Strafrecht.

Am Mittwoch im Fokus der Medien: Mustafa Kaplan, Strafverteidiger und Fachanwalt für Strafrecht.

Foto: Sabine Maguire

Rundschau: Herr Kaplan, Ihr Mandant ist wegen vierfachen versuchten Mordes angeklagt. Spiegeln die Anklagevorwürfe aus Ihrer Sicht das wider, was sich im Februar 2024 am Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasium abgespielt hat?

Kaplan: „Nein, die Anklageschrift schießt über das Ziel hinaus. Aus meiner Sicht hätte gefährliche Körperverletzung angeklagt werden müssen.“

Rundschau: Kurz nach der Tat haben Sie sich so zitieren lassen: „Noch weiß niemand, was genau passiert ist“. Mittlerweile werden Sie mit Ihrem Mandanten gesprochen haben und Sie hatten Akteneinsicht. Wollen Sie uns etwas darüber erzählen, was genau an diesem Morgen im Oberstufenraum abgelaufen ist?

Kaplan: „Aus Respekt vor den Opfern, aber selbstverständlich auch vor dem Gericht, werden wir erst in der Hauptverhandlung hierüber sprechen.“

Rundschau: Der Vater Ihres Mandanten hat in einem Interview gesagt, sein Sohn sei von Klassenkameraden im Vorfeld der Tat verspottet worden, weil er nicht „zum Döneressen“ habe mitgehen wollen. Daraufhin sei Ihr Mandant ausgerastet und habe zum Messer gegriffen …

Kaplan: „.. ja, so stellt es sich für uns derzeit dar. Aber in den letzten Wochen haben viele Eltern und Schüler des Gymnasiums mich, aber auch die Familie meines Mandanten kontaktiert und ihren Wunsch geäußert, dass mein Mandant schnell rauskommt und sich helfen lässt. Das ist in solch einem Fall sehr ungewöhnlich. Das zeigt aber auch, dass wir es nicht mit einem gewöhnlichen Schwurgerichtsverfahren zu tun haben.“

Rundschau: Was können Sie uns über die Verletzungen der Opfer sagen? Kurz nach der Tat haben Sie gesagt, die Schüler seien nur oberflächlich verletzt gewesen und noch am gleichen Tag mit einem Pflaster aus dem Krankenhaus entlassen worden.

Kaplan: „Ich bin weit davon entfernt, die Verletzungen der Opfer kleinzureden. Das wäre respektlos ihnen gegenüber. Aber ja, Gott sei Dank waren die Verletzungen sehr oberflächlich. Es war der ausdrückliche Wunsch meines Mandanten und seiner Familie, mit den Opfern einen ,Täter-Opfer-Ausgleich‘ zu vereinbaren. Wir sind sehr dankbar, dass zwei Familien dieses Angebot angenommen haben, eine Familie überlegt noch. Wir haben die Hoffnung, dass am Ende mit allen vier Opfern eine solche Vereinbarung getroffen werden kann.“

Rundschau: Sie haben ein rechtsmedizinisches Gutachten in Auftrag gegeben, demnach soll ihr Mandant nicht auf die Opfer eingestochen, sondern mit dem „Messerknauf“ auf sie eingeschlagen haben? Wie hat man sich das vorzustellen?

Kaplan: „Weder die Gutachter, noch das Gericht, aber auch nicht die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung waren am 22. Februar 2024 vor Ort. Es sind letztendlich alles nur Theorien.“

Rundschau: Kurz nach der Tat war kolportiert worden, Ihr Mandant leide unter einer psychischen Krankheit. Sie bestreiten das, eine Begutachtung durch den psychiatrischen Sachverständigen haben Sie abgelehnt. Warum?

Kaplan: „,War kolportiert worden ...‘ – eine schöne Formulierung. Richtigerweise muss man sagen, die Staatsanwaltschaft hat es kolportiert. Wir haben im Gerichtsverfahren zwei exzellente und renommierte Gutachter sitzen, die genau dieser Frage nachgehen werden. Wir Juristen sind gut beraten, uns mit Einschätzungen zu ,psychischen und psychiatrischen Krankheiten‘ tunlichst rauszuhalten.“

Rundschau: Ihr Mandant soll auch aufgeschrieben haben, ihm sei die Tat befohlen worden und er habe sich von der Polizei erschießen lassen wollen …

Kaplan: „Ich habe Zweifel an diesen Mutmaßungen. Wir werden sehen, was die Beweisaufnahme ergeben wird.“

Rundschau: Der Angeklagte hat sich nach der Tat noch im Klassenraum selbst lebensgefährliche Stichverletzungen mit dem Messer zugefügt. Kurz nach der Tat haben Sie die Hoffnung geäußert, dass er Ihnen die Frage nach dem „Warum?“ in den nächsten Gesprächen beantworten wird: Hat er das mittlerweile getan?

Kaplan: „Auch da muss ich Sie um Geduld bitten. Das ist nichts für die Medien, sondern für die Hauptverhandlung.“