Bergische Transfergeschichten Das Familienleben verstehen

Wuppertal · Aufgaben gibt es in einer Familie zuhauf: vom Saugen, Putzen, Kochen, Spülen, Einkaufen, über die Haustierfütterung, Gartenarbeit und Müllentsorgung bis zur Kindergeburtstagsplanung, dem Autowerkstattbesuch oder der zu veranlassenden Überweisung – bei allem stellt sich die Frage: „Wer macht‘s?“

Prof. Dr. Christian Bredemeier.

Foto: Friederike von Heyden

Das perfekte Rezept dafür gibt es nicht, aber Erkenntnisse aus dem Bereich der Familienökonomie helfen dabei, ein Verständnis von der Aufgabenverteilung und ihren Auswirkungen auf das Zusammenleben zu bekommen. Womit sich die Familienökonomie außerdem beschäftigt, das erklärt Prof. Dr. Christian Bredemeier, der an der Bergischen Universität an seinem Lehrstuhl für Applied Economics dazu forscht, in den Bergischen Transfergeschichten.

„Familienökonomie heißt, Familienleben zu verstehen und dabei Denkweisen und Konzepte zu verwenden, die uns auch in anderen Bereichen außerhalb der Familie helfen, wirtschaftliches Handeln von Menschen zu verstehen“, sagt der Wissenschaftler.

„Die Familie ist eine Gruppe von Individuen, die miteinander interagieren, ihre eigenen Interessen, Vorlieben und Abneigungen sowie Möglichkeiten und Grenzen haben“, erklärt der Ökonom, „und manchmal dadurch auch in Konflikte geraten.“ In der Familienökonomie gehe es oft um ganz konkrete Lebensentscheidungen wie Arbeitsplatzwechsel, Umzüge oder das Thema Kinder in Verbindung mit möglichen Karriereunterbrechungen. „Es geht auch um die Bildung von Familien, von Haushalten. Das Zusammenkommen in der Partnerschaft, das Zusammenziehen und die eventuelle Heirat sowie auch die Auflösung von Familien, also Trennung und Scheidung.“ Die ökonomischen Konzepte, die dabei benutzt werden, werden in anderen Bereichen bereits erfolgreich eingesetzt. Eine klug entwickelte Arbeitsteilung beispielsweise sei bei vielen Unternehmen der Schlüssel zum Erfolg.

Konstellationen haben sich geändert

„Es ist immer wieder faszinierend, wie viel sich verstehen lässt“, führt der 39-Jährige aus, „wenn man ganz nüchtern ökonomische Rahmenbedingungen betrachtet, denen Familien und ihre einzelnen Mitglieder ausgesetzt sind, auch ohne auf schwer zu messende und quantifizierende Faktoren zurückzugreifen.“ Normen und Rollenbilder seien aber ebenso von großem Belang, konstatiert der Wissenschaftler. Wenn man die Rolle der Familie für ganz ökonomische Fragestellungen verstehe, könne man auch staatliche Systeme vernünftig gestalten und würde das, was in der Familie geschehe, sinnvoll ergänzen. „Ein Beispiel ist die Ausgestaltung sozialer Sicherungssysteme“, sagt Bredemeier, „denn da spielen Familien eine Rolle und bilden das erste Auffangnetz für Menschen.“ Auch für die Gestaltung des Steuer- und Transfersystems und des Arbeitsrechts sei es wichtig zu verstehen, wie familiäre Prozesse funktionieren.

Die Familienkonstellationen haben sich geändert. Die Eheschließung ist keine notwendige Grundlage mehr, aus Trennungen entstehen neue Stief- oder Patchworkfamilien, neue Wohn- und Hausgemeinschaften, sogar zusammen mit älteren Mitgliedern der Großelterngeneration. Alleinerziehende sind Standard. Dazu Bredemeier: „Mit jeder neuen Familienform ergibt sich die Herausforderung, zu verstehen, warum sie sich bildet und was das für die Menschen bedeutet, die in ihr leben.“ In einer sich verändernden Familienwelt führe A nicht mehr zwangsläufig zu B, wie es die klassische Familiensituation vorgebe. „Wir sind nicht starr auf das klassische Vater-Mutter-Kinder-Bild angepasst. Wir verstehen Familie als eine Gruppe von Individuen, die nicht auf eine Form der Familie festgelegt sind.“

Dass beide Eltern mit etwa gleicher Stundenzahl arbeiten gehen und sich gemeinsam um Haushalt und Kinder kümmern, ist eine Wunschvorstellung vieler Paare, die Nachwuchs planen. Doch meist bleibt auch heute noch die Frau nach der Schwangerschaft zu Hause und hat größere Schwierigkeiten, wieder in den Arbeitsmarkt einzusteigen. Den Löwenanteil der Hausarbeit übernehmen nach wie vor die Frauen. Das erweckt oft den Eindruck, als ob Geschlechtergleichheit nur im Kopf stattfindet. „Ich denke, der Wunsch nach fairer Aufteilung der Aufgaben hält da vermutlich den Konfrontationen mit den Herausforderungen nach der Geburt der Kinder nicht immer Stand“, erklärt der Ökonom.

Auf der anderen Seite „gab es in den letzten Jahren auch sehr gute Studien, die nachweisen, dass es immer noch Geschlechterbilder, Stereotype und Rollenbilder gibt und dass Familien viel auf sich nehmen, um diesen Rollenbildern, die sie selbst oder andere von ihnen haben, zu entsprechen“, weiß Bredemeier.

Die Dimensionen der Eheschließung

„Eine Eheschließung macht das Zusammenleben aus ökonomischer Sicht verbindlicher und auch das Beenden schwerer“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler, und das habe eine Reihe von Auswirkungen für das Zusammenleben als Paar, vor allem, wenn es um langfristige Investitionen gehe. „Lohnt es sich zum Beispiel ein Haus zu kaufen, wenn der Partner jederzeit gehen könnte? Lohnt es sich, für die Familie auf die Karriere zu verzichten, wenn man am Ende vielleicht allein dasteht? Ist man bereit, dem Partner, dessen Karriere gerade stockt, oder der gerade seinen Arbeitsplatz verloren hat, auszuhalten, wenn man nicht sicher ist, dass der Partner in der umgekehrten Situation einen selber vielleicht verlässt? Das sind alles Fragen, die sich in der Entscheidungssituation des Einzelnen in der Beziehung stellen können.“

Es gebe viele empirische Daten zu den Auswirkungen der einseitigen Scheidung und die in den westlichen Ländern geänderte Rechtslage habe Einfluss sowohl auf die Erwerbstätigkeit von Frauen, das Ausmaß an häuslicher Gewalt, als auch auf Kinderentwicklung und das Sparverhalten. „Die Entscheidung Trauschein ja oder nein hat eine ähnliche Dimension.“

Menschen suchen sich heute oft Partnerinnen und Partner mit ähnlicher Bildung und ähnlichem sozialem Hintergrund. Die Wissenschaft spricht von assortativer Paarbildung. Dieser Trend wird mit dafür verantwortlich gemacht, dass die wirtschaftliche Ungleichheit von Haushalten innerhalb vieler Länder wächst. „Dass mit der assortativen Paarbildung ist richtig“, bestätigt Bredemeier. „Es kommen Leute zusammen, die sich ähnlich sind. Wir sehen, dass vor allem Bildungsstand und Einkommen mehr und mehr eine Rolle spielen. Wenn ein gutverdienender Mensch auch noch einen gutverdienenden Partner dazubekommt, verstärkt das natürlich den Unterschied im Einkommen, verglichen mit Leuten, die einen geringeren Bildungsstand haben und weniger verdienen. Es macht den Unterschied zwischen den Haushalten größer.“

Die Frage nach Ungleichheit werde in der Ökonomie schon sehr lange diskutiert. Grundsätzlich gebe es verschiedene Politikmaßnahmen, die dafür sorgen sollen, dass Menschen ohne hohen Bildungsabschluss ein auskömmliches Einkommen hätten. Man könne etwa Vorteile für Geringverdiener im Steuer- und Sozialsystem ausbauen, erklärt der Fachmann, aber dazu müsse auch der politische Wille da sein.

Neue, familienökonomische Konzepte für eine veränderte Gesellschaft

Die sozialen Normen haben sich verändert. Gleichgeschlechtliche Beziehungen, außerehelicher Sex und auch verheiratete Frauen am Arbeitsplatz sind heute gesellschaftlich anerkannt. Dafür mussten auch neue Konzepte in der Familienökonomie her. „Sex ist wahrscheinlich nur die Spitze dessen, was mal irgendwann für die Ehe reserviert war, heute aber auch selbstverständlich außerhalb der Ehe existiert“, sagt Bredemeier, auch banale Dinge hätten eine ähnliche Vergangenheit. „Bestimmte Tätigkeiten in der Hausarbeit mussten früher einfach von Familienmitgliedern gemacht werden. Heute können wir das selbstverständlich an Dienstleister oder an Maschinen abtreten. Diese Prozesse haben wir ganz gut verstanden.“

Eines der Kernthemen der Familienökonomik sei die Beteiligung von Frauen am Arbeitsleben, die wir heute als normal empfinden. Als „New normal“ beschreibt der Forscher das Zeitalter der Familien mit Doppelverdienenden, das auch zu neuen Schlussfolgerungen führt. Ebenso seien gleichgeschlechtliche Beziehungen ein spannendes Feld für die Wissenschaft. „Solche Beziehungen ermöglichen uns Rollenverteilungen in Situationen zu studieren und zu beobachten, wo Geschlecht im biologischen Sinne keine Rolle spielt. Viele Kolleginnen und Kollegen sind schon gespannt, denn wenn es die Ehe für alle einige Jahre gegeben hat und wir eine ausreichende Datenlage haben, werden uns diese Daten helfen, familiäre Prozesse noch besser zu verstehen.“