Nach Toreschluss — die Wochenendsatire Gute-Nacht-Geschichten
Wuppertal · Eine kleine Meldung hat mich diese Woche wirklich aufhorchen lassen: In Landshut hat eine Mutter die Polizei gerufen, weil ihre siebenjährige Tochter nicht ins Bett wollte. Das Problem an sich ist erfahrenen Eltern ja nicht ganz unbekannt.
Weil sie tendenziell ungern einschlafen, entwickeln Kinder gerne perfide Wachbleib-Strategien.
Mein Sohn hat sich im fraglichen Alter beispielsweise regelmäßig gegen 20 Uhr in eine Art menschliche Atombombe verwandelt, die schon bei den ersten Silben der zwei Wörter "Gute Nacht!" in unvorstellbarer Form explodierte.
Sie müssen sich das so vorstellen, als hätten sich die Impertinenz von Nordkoreas Diktator Kim-Jong Un, die strategischen Fähigkeiten eines Schachgroßmeisters und die Schauspielkunst von Jack Nicholson kurzfristig in einem kleinen Kinderkörper gebündelt. Beim Vortrag der Gute-Nacht-Geschichte schien noch alles in Ordnung. Lammfromm lag das Büblein im Kissen und lauschte wahlweise den Abenteuern des seinerzeit noch nicht pensionierten liebenswerten Elefantentrottels Benjamin Blümchen, oder den beunruhigenden Aktivitäten einer Art Kinderpolizei, hinter die man eigentlich mehr als nur drei Fragezeichen hätte machen müssen.
Sekundenbruchteile nach dem planmäßigen Ende des Vortrags aber krüppte sich das bis dahin friedliche Kleinlebewesen ganz groß auf und stieß ein Gebrüll aus, gegen das Benjamins Blümchens nervtötendes "Törööööö" als Chill-Out-Musik durchgehen würde: "WILL! NICHT! SCHLAFEN! BIN! NICHT! MÜDE!"
Erfolgte nicht innerhalb kürzester Zeit eine dem Kinde genehme Reaktion, zündete es Stufe zwei in Form eines Aufbäumens, in dessen Zuge sich der kleine Körper zur Hochstrecke brachte, um dann wie von einer Gewehrsalve getroffen zurück auf die Matratze zu sinken und noch ein paar Rollen im Stile eines elfmeterreif gefoulten Konterstürmers nachzulegen.
An dieser Stelle haben auch routinierte Babysitter gerne das Handtuch geworfen und das Animationsprogramm bis gegen Mitternacht fortgesetzt, während der abgebrühte Vater (also ich) auch bei Stufe drei die Ruhe behielt. In diesem Stadium ertönte aus dem bereits abgedunkelten Kinderzimmer ein Geheul, wie es sonst wohl nur aus düsteren Folterkellern unsäglicher Despotenregime zu vernehmen ist: "WIIIHIIILL! NIIHIIICHT! SCHLAAAHAAFEHEN!" drang es durch den Türspalt, begleitet vom klatschenden Geräusch des wiederholten Aufpralls eines kleinen Körpers auf einer tränendurchweichten Matratze.
Man konnte aber sicher sein: Kurz bevor bei mir der Wunsch übermächtig wurde, beim Jugendamt Selbstanzeige zu erstatten, herrschte plötzlich tiefe Abendruhe. Es galt nur, noch, den irgendwo im Bettgeviert komplett zum Erliegen gekommenen Protestanten in die Ausgangsposition zurückzulegen und zuzudecken.
Der Junge hat übrigens später sogar Abitur, den Bachelor und einen Master gemacht, wenn auch nicht in Pädagogik. Nun müssen wir aber erfahren, dass dieses alte Einschlafproblem in Bayern neuerdings von der Polizei gelöst wird. Wahrscheinlich ist das ein kleiner Vorgeschmack darauf, was uns blüht, wenn die CSU demnächst wie angedroht bundesweit kandidiert ...
Bis die Tage!