Kommentar Zu wenig Laptops, zu wenig Nahverkehr
Wuppertal · Ist jetzt Halbzeit? Schwer zu sagen. Aber Zeit für eine Art von Bilanz ist schon. Finanziell gut durchgekommen sind beispielsweise Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst sowie Rentner. Kurz die, deren Geld jeden Monat vom Staat bezahlt wird. Sehr viele andere könn(t)en zu Verlierern werden – oder sind es schon. Die Beschäftigten in der Gastronomie etwa oder die freien Künstler. Vielen blieb nichts anderes übrig als der Weg zu Hartz IV.
Apropos Hartz IV oder Arbeitslosengeld I: So zynisch es sich anhört – auch wer diese Unterstützungen bezieht, kann sicher sein, dass das Geld fließt. Das ist ein Zeichen für das Funktionieren unseres sozialen Systems. Andere Länder sind weit davon entfernt.
Die Hilfe für die solo-selbständigen Künstler dagegen hat „ewig“ gebraucht beziehungsweise ist noch immer nicht komplett auf dem Weg in die jeweiligen leeren Portemonnaies. Applaus deswegen für den Wuppertaler Stadtrat, der mit sehr großer Mehrheit am vergangenen Montag die Bundesregierung aufgefordert hat, einen Kulturnothilfefonds einzurichten, der deutlich über der Fördersumme des Soforthilfefonds des Landes NRW hinausgeht. Diese Soforthilfe beträgt einmalig 2.000 Euro für die Finanzierung der Lebenshaltungskosten. Zur Hilfe für die Künstler, denen immer noch auf lange Sicht fast alle nennenswerten Auftrittsmöglichkeiten (und damit Einnahmen) abgeschnitten sind, ist es daher ganz wichtig, dass Stadtmarketing und Sparkasse eine Live-Bühne im Autokino am Carnaper Platz realisiert haben.
Es ist aber auch ganz wichtig, dass der Wuppertaler Musiker Björn Krüger darauf hinweist, dass, wer Hartz IV beantragen musste und jetzt irgendwoher eine Gage bekommt, dieses Geld wegen der Verrechnungsvorschriften des Jobcenters eventuell ganz oder teilweise gleich wieder verliert. Und es bleibt ganz wichtig, dass Krüger daran erinnert, dass sehr viele Künstler immer noch gar keine Chancen haben, überhaupt irgendwo für irgendetwas eine Gage zu bekommen.
Verlierer sind sicher auch viele Alleinerziehende mit Kindern, die sich während der wochenlangen Kita-Schließungsphase, die seit vorgestern mit ganz kleinen Schritten wieder gelockert wird, vor fast unlösbaren Aufgaben sahen (und sehen): Nicht „systemrelevant“ zu sein, aber arbeiten zu sollen bei gleichzeitiger Notwendigkeit der Kinderbetreuung ist kein Spaziergang. Überhaupt dieses „systemrelevant“ – ein elendes Wort. Aber es zeigt die ungeschminkte Wahrheit: Manche sind eben wichtiger als andere.
Auch Schüler aus Schichten, in denen nicht selbstverständlich ein gutes, großes Laptop (oder mehrere) zu Hause steht, gehören zu den „Corona-Gekniffenen“. Wer sich umhört, wird staunen, in wie vielen Haushalten (und nicht nur im immer wieder heruntergeredeten Osten Wuppertals) das der Fall ist. Ein Smartphone gibt’s überall – klar. Aber echtes schulisches Lernen per Handy-Bildschirm? Das klappt nicht gut. Eine Lehrerin der Else-Gesamtschule bat mich darum, Wuppertal dazu aufzurufen, Laptops, die nicht gebraucht werden, aber noch funktionieren, der Schule zu spenden. Mache ich hiermit sehr gerne!
Auch nicht wirklich gewonnen während der harten Corona-Wochen haben die Stadtwerke: Das quasi sofortige Eindampfen des Fahrplanes bei gleichzeitig überall gefordertem Abstandhalten hat zu viel Unverständnis, ja heftigen Unmut geführt. Und dass mehrfach „nachgesteuert“ werden musste, zeigt für mich, dass die Bedeutung eines starken, sicheren Nahverkehrs – auch und vor allem während des Lockdown – von denen, die diesen Nahverkehr verantworten, nicht realistisch eingeschätzt worden ist. Das hätte kundenfreundlicher gelöst werden müssen. Zumal die WSW ja gezeigt haben, dass sie die Corona-Gefahren im Blick haben: Das Stromabsperren für die, die in Zahlungsnot geraten sind, wurde ausgesetzt.
Keine Corona-Verlierer allerdings sind die Bürger, die die Bebauung am August-Jung-Weg verhindern wollten. Obwohl sie sich selbst wegen der außergewöhnlichen Ratssitzung sowie weggefallener Ausschuss-Debatte so sehen – und jetzt gegen den Mehrheitsbeschluss von CDU und SPD klagen wollen. Weder die Kleine Höhe, noch der August-Jung-Weg haben etwas mit Corona zu tun. Das ist „ganz normale“ Politik.
Da kann man jedenfalls sagen: Das Leben geht (wieder) weiter.