Kommentar zu Wuppertaler Bühnen Es gibt jede Menge Anlass für Applaus
Wuppertal · Wer die Schilderungen der Schäden liest, die das Wupper-Hochwasser im Opernhaus angerichtet hat, könnte die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und verzweifeln. Doch zum Verzweifeln gibt es keinen Anlass. Schon allein, weil Geld fließt: Soforthilfe von der Stadt selbst plus 100.000 Euro von den Theaterfreunden, die ebenfalls sofort einspringen. Großer Applaus dafür!
Applaus verdient haben aber auch alle, die bei den Bühnen und im Tanztheater tätig sind: Da wird keineswegs die Flinte ins Korn geworfen, sondern man sucht (und findet schnell!) Ausweichspielorte, um die Mehrzahl der geplanten Aufführung doch zu realisieren. Selbst wenn es dafür nötig ist, nach Leverkusen zu fahren. So muss es sein, denn nicht nur die Künstlerinnen und Künstler haben große Sehnsucht nach der Bühne, sondern ihr Publikum ganz genauso.
Und dieser Hunger nach Theater, Oper, Tanztheater und sinfonischer Musik ist nicht nur deswegen verständlich, weil man die Darbietung all dessen nur in Stream-Form so elend leid ist, sondern auch, weil in Wuppertal Hochklassiges im Angebot ist, das zu verpassen eine wahre Schande wäre.
Die Wuppertaler Bühnen sind nicht umsonst für ihre herausragende künstlerische Qualität in Oper, Schauspiel und Sinfonieorchester, als auch für ihr alternatives Kulturangebot während der Corona-Pandemie mit dem Theaterpreis des Bundes 2021 ausgezeichnet worden. Ich erinnere nur an eine atemberaubende Shakespeare-Inszenierung von „Romeo und Julia“ im Opernhaus, die kurz darauf folgenden, ebenso starken „Weber“ – beides damals „in echt“ zu sehen, bis wieder der Eiserne Vorhang fiel. Aber auch „Robin Hood“ als virtuelles Familienstück musste sich nicht verstecken.
Für die Oper, auf deren Programm mein Kollege Stefan Schmöe stets ein genaues und kritisches Auge (und Ohr) hat, gilt Vergleichbares. Auch hier sind ausgezeichnete Aufführung zu erleben gewesen, mit denen Wuppertal sich auch bundesweit platzieren konnte – und kann.
Jetzt hat das Schauspiel mit dem zeitgenössischen Stück „Waisen“ einen darstellerisch und atmosphärisch furiosen Start hingelegt. Auf „Dantons Tod“ bin ich wirklich sehr gespannt ... Und auf den wegen des Opernhaus-Ausfalls komplett umformatierten „Faust“ im Theater am Engelsgarten natürlich sowieso.
In den Riedel-Hallen, die als außergewöhnlicher Spielort gerade jetzt immer stärker in den Blick rücken werden, läuft mit „Moby Dick“ gerade eine magische Melange aus Theater, Tanztheater und zeitgenössischer Musik: Das ist ein Erlebnis, für das man sogar das durchgängig verpflichtende (und angesichts von 3G-Regel schwer nachvollziehbare) Maske-Tragen während der Vorstellung gerne in Kauf nimmt.
Es zeigt sich gerade jetzt, wie wichtig und richtungweisend Intendantenpersönlichkeiten wie Thomas Braus und Berthold Schneider sind: Menschen, die weit denken, die sowohl ihren Ensembles als auch ihrem Publikum etwas zutrauen. Die die interessante, vielleicht auch einmal überraschende Mischung riskieren, um das zu schaffen, was städtisches Theater leisten muss: Im Idealfall alle ansprechen – die Jungen, die Älteren, die Alten, die Liebhaber der Klassiker ebenso wie die Fans des Modernen.
Und dann darf man natürlich auch das Sinfonieorchester nicht vergessen: Jubel und stehende Ovationen beim Antrittskonzert des jungen Generalmusikdirektors Patrick Hahn im Großen Saal der Stadthalle. Ein Chefdirigent, der sich den Menschen und der Stadt zugewandt präsentiert – von seinen künstlerischen Fähigkeiten einmal gar nicht zu reden. Auch er ganz offenbar ein Glücksfall.
Angesichts der Schockstarre, die kurzfristig herrschte, als die Dimension der Opernhaus-Schäden deutlich wurden, galt dann aber schnell die Devise, die mit dem von 1982 stammenden Songtext der Band „Herne 3“ am besten zusammengefasst ist: „Immer wieder aufstehn, immer wieder sagen, es geht doch!“ Und das ist gut so.