Antrittskonzert von Generalmusikdirektor Patrick Hahn Diesem Anfang wohnt ein Zauber inne
Wuppertal · Was für ein Auftakt! Zum Antrittskonzert des neuen Generalmusikdirektors Patrick Hahn ist die Stadthalle voll besetzt, und das meint: Voll wie in den Zeiten vor Corona. Die Spannung vor dem ersten Ton, das kollektive Luftanhalten bei den leisen Stellen, das Bewusstsein, gerade mit allen Anwesenden etwas ganz Besonderes zu erleben – das ist an diesem Abend, 3G sei Dank, zum ersten Mal seit eineinhalb Jahren in dieser Form wieder möglich.
Die Bürgergesellschaft feiert den neuen Chefdirigenten mit stehenden Ovationen. Ganz viel Aufbruch, wie auch Oberbürgermeister Uwe Schneidewind enthusiastisch in seiner kurzen Begrüßung frohlockte.
Volle Besetzung auch endlich wieder auf dem Podium, denn Patrick Hahn hat Werke ausgesucht, bei denen so ziemlich alles zum Klingen kommt, was ein Symphonieorchester aufbieten kann: Von der Orgel bis zu den Kuhglocken, mit denen Richard Strauss in seiner „Alpensymphonie“ das Idyll auf der Alm klanglich umreißt.
Die Komposition ist vielleicht keine der ganz bedeutsamen der Musikgeschichte, aber eine der effektvollsten, und das Sinfonieorchester kostet das nach Kräften aus mit sattem Fortissimo, das den Saal vibrieren lässt, dennoch nicht erdrückt. Phänomenal, wie Hahn den großen Spannungsbogen über das 50 Minuten lange Werk hält, Strauss´ musikalische Tageswanderung vom Tal auf den Gipfel und zurück, vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung, als wuchtige Einheit dirigiert, ohne sich in kleinteilige Episoden zu verlieren.
Liebe Wuppertaler Oper: Der Mann kann Strauss, der kann sicher auch „Rosenkavalier“ oder sogar die (zu) selten gespielte „Frau ohne Schatten“.
Hahn, gerade einmal Mitte 20, dirigiert unprätentiös und souverän, als habe er mindestens 30 Jahre Erfahrung mit dieser komplexen Musik. Er braucht wenig große Gesten. Da hat sich in kurzer Zeit offensichtlich viel gegenseitiges Vertrauen zwischen Dirigent und Orchester aufgebaut, das dem ersten Eindruck nach mehr Freiheiten hat als unter Hahns Vorgängerin Julia Jones, auch mehr schwelgen darf. Der Klang ist hell und strahlend; Hahn kommt gut zurecht mit der immer brav gelobten, dabei gar nicht so unproblematischen Akustik der Stadthalle.
Bei den ersten Tönen von Anton Weberns kurzen „Sechs Orchesterstücken“ aus dem Jahr 1909 am Beginn des Konzerts schienen sich die Musiker erst einmal wieder einhören zu müssen in diesen Raum mit Publikum; so etwa vom dritten Stück an bekam die fragmentierte Musik, die musikalische Linien von einem Instrument an das nächste weitergibt, sie gleichzeitig auflöst, die Selbstverständlichkeit, die es hier braucht. Eigentlich paradox: Die älteste Komposition dieses Abends ist die mit Abstand modernste.
Die „Vier letzten Lieder“ von Richard Strauss dagegen sind der vielleicht wunderbarste Anachronismus der Musikgeschichte, mit großer spätromantischer Geste 1948 komponiert wie ein Abgesang auf eine Welt, die eigentlich schon seit 1914 in Trümmern lag. Hahn wählt flotte Tempi, aber die Musik wirkt nicht schnell, behält Ruhe, vibriert gleichwohl vor Binnenspannung. Bei allem Weltabschiedsschmerz bewahrt Hahn der Eichendorff-Vertonung „Im Abendrot“ eine flirrende Leichtigkeit.
Fantastisch, mit welcher Intensität Sopranistin Marlis Petersen die Lieder ausgestaltet, die Stimme leuchten lässt und keine Zweifel lässt, dass es hier um alles geht. Wie sich die Seele musikalisch emporschwingt im Lied „Beim Schlafengehen“ – das Gedicht stammt von Hermann Hesse – nicht nur das wird bei ihr zum Ereignis.
„Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, heißt es in einem anderen, dem wohl berühmtesten Gedicht von Hesse. Dieser Abend ist ein ausgesprochen vielversprechender Anfang.