Top Wuppertal Patrick Hahn: Ganz bestimmt kein Dirigenten-Despot
Wuppertal · Patrick Hahn ist ab dem kommenden Jahr Wuppertals neuer Generalmusikdirektor – und erst 25 Jahre alt.
In der Bayrischen wie in der Hamburger Staatsoper hat er schon am Pult gestanden, zahlreiche große Orchester haben unter seinem Dirigat musiziert: die Münchner Philharmoniker, das Gürzenich-Orchester Köln, die Düsseldorfer Symphoniker, die Hamburger Symphoniker, die NDR Radiophilharmonie, das Luzerner Sinfonieorchester, das Württembergische Kammerorchester die Wiener Symphoniker, um nur einige zu nennen.
Die Karriere des 25-jährigen Patrick Hahn erstaunt. Tatsächlich bisher quasi nur als freier Mitarbeiter von Projekt zu Projekt eilend, kam er im Januar 2020 auch in die Historische Stadthalle Wuppertal, dirigierte das fünfte Sinfoniekonzert der Saison, wurde überrascht von dem wunderbaren Konzertsaal wie von der Offenheit und Empathie, die ihm seitens des Orchesters entgegenschlug, diesem jungen Mann, der an dem Abend zum ersten Mal die 5. Sinfonie von Beethoven dirigierte. Suchend nach der Nachfolge von Julia Jones, kam es zu Gesprächen und man war in Wuppertal froh, im Juli 2020 bekannt geben zu können, dass Patrick Hahn in der der Spielzeit 2021/22 als neuer Generalmusikdirektor, als jüngster im deutschsprachigen Raum, nach Wuppertal kommen wird.
Jetzt sprachen wir mit dem Österreicher an seinem zukünftigen Wirkungsort, in der Historischen Stadthalle Wuppertal. Er erzählte von sich: Wie er als Achtjähriger aus der Kombination von Fußball und Singen im Knabenchor seines Heimatortes zur Musik hinübergewachsen sei. Aus dem Elternhaus habe er keinerlei Anstöße zu musikalischer Sozialisation bekommen. So habe er immer alleine in Freiheit seine Interessen verfolgen können und sei nie von ehrgeizigen Eltern in eine Richtung gedrückt worden. An Motivation zur und Lust an der Musik habe es ihm nie gemangelt. Und er sei stets dankbar, dass die Eltern ihn haben machen lassen. Nach einem unbeschadet überstandenen Keyboard-Kurs in der örtlichen Musikschule habe er als Elfjähriger mit ernsthaftem Klavierunterricht an der Kunstuniversität Graz begonnen. Natürlich sang er auch weiterhin im heimischen Knabenchor, wo er wohl mit 14 Jahren anfing, über das Bolzen hinaus mit Jüngeren auch musikalisch zu arbeiten und Proben zu leiten. Von seiner Oper („Die Frittatensuppe“), die er als Zwölfjähriger komponiert und tatsächlich auch aufgeführt hat, bleibt immerhin die wertvolle Erinnerung.
Im Klavierunterricht wurde bald klar, dass Patrick Hahn eine Karriere als Konzertpianist nicht anstreben wollte. Und bei einem Schulaustausch in den USA traf er in der dortigen High School auf wunderbare Aktivitäten: Theater, Blasorchester, Orchester und Jazz, den er dort für sich entdeckte. Zurück in Graz, versuchte er seinen musikalischen Interessen möglichst breit nachzugehen, stöberte die satirischen Lieder Georg Kreislers auf, zu denen er sich auf dem Klavier selbst begleitet, und kümmerte sich vor allem um das Partiturspiel.
Beim Spielen zum Beispiel der Salome-Partitur auf dem Klavier, wo man ja mit nur zwei Händen die musikalischen Gedanken erfassen und darstellen muss, durchschaue man komplizierte Musik erst richtig, leichter und tiefer. Wie kommt er zu seiner Interpretation der Werke? Er spüre immer erst einmal seinem Bauchgefühl nach, höre auch einmal eine Aufnahme, die er aber schnell weit weglege. Denn Kopieren möchte er nicht. Das Bauchgefühl umfasse am ehesten die musikalische Begabung, sich von der Musik persönlich ergreifen zu lassen, und sie aus dem eigenen Inneren heraus wiederzugeben.
Wer macht eigentlich die Musik, den Klang des Orchesters? Das Orchester oder der Dirigent? Beide, lacht er und bei der Erarbeitung eines Konzertprogramms komme es tatsächlich zu einem mehr oder weniger intensiven Dialog zwischen Dirigenten und Musikern, bei dem er seine Klangvorstellung zu vermitteln versuche. Das sei gegenüber etwa 90 routinierten, gestandenen Musikerinnen und Musikern nicht immer einfach. Zuletzt verlasse er sich meist auf die Professionalität der Instrumentalisten beim Umsetzen seiner Vorstellungen, wobei aber durchaus auch mal über Strich und Phrasierung disputiert wird und althergebrachte Gewohnheiten abgelegt werden.
Mit der Brechstange setze er seine musikalische Vorstellung nie durch. Die Zeit der großen Dirigenten-Despoten, der „verkappten Diktatoren“, wie Celibidache den eigenen Berufsstand bezeichnete, sei vorbei. Schlagtechnik im Speziellen übe er nur bei hochkomplizierten Orchesterwerken, wenn „ampelmännchenartig“ rechts und links völlig unterschiedlich zu schlagen sei, um auseinanderlaufende Taktkombinationen sozusagen unter einen musikalischen Hut zusammenzubringen. Immer strebe er an, die Spontaneität des musikalischen Funkens zu erhalten und noch in der Aufführung Impulse zu setzen, die für Frische und Leben der Aufführung sorgen. Auf die Arbeit mit dem traditionsreichen Wuppertaler Orchester (aktuell in der 158. Saison!) freut er sich sehr.
Als 19-Jähriger stand er zum ersten Mal richtig vor einem großen professionellen Orchester bei einem Galakonzert der Ungarischen Staatsoper in Budapest. Und 2017 habe er sich auf eine Korrepetitor- Stelle unter anderem bei der Bayrischen Staatsoper erfolgreich beworben, wo ihm, von Kyrill Petrenko gleich zum Dirigieren angehalten, eine Neuproduktion der Münchner Opernfestspiele in die Hände gelegt wurde. Seither dirigiert er dort regelmäßig – unter anderem „Salome“, „Fidelio“ und „Die Tote Stadt“ mit Marlis Petersen und Jonas Kaufmann.
Im Hinblick auf die Arbeit in Wuppertal ist geplant, dass Patrick Hahn im Opernhaus zwei Opern pro Spielzeit einstudiert und von den zehn Abonnementskonzerten sechs selbst dirigiert. Auch von den Zusatzkonzerten werde er einige übernehmen. Im Hinblick auf sein Programm werde er natürlich das zentraleuropäische Kernrepertoire pflegen und darüber hinaus nicht vergessen, was in den letzten Jahren hier besonders selten zu hören gewesen sei. Dazu gehöre zum Beispiel das Werk Alfred Schnittkes, dessen Oper „Das Leben mit einem Idioten“ im Wuppertaler Opernhaus 1993 mit großem Erfolg ihre deutsche Erstaufführung in Anwesenheit des Komponisten erlebte. Seitdem hat man Schnittke hier nicht mehr gehört.
Auch die Werke von Charles Ives, zum Beispiel seine große 4. Sinfonie, die in der Eröffnungssaison der Elbphilharmonie gespielt wurden, seien in der Historischen Stadthalle praktisch nie erklungen. Obwohl beim Dirigieren das Publikum immer nur im Rücken, möchte Patrick Hahn es locken, faszinieren und ein vielseitiges wie interessantes Programm bieten. Um neues und jüngeres Publikum für die Sinfoniekonzerte zu interessieren, überdenke er immer wieder das klassische Konzertformat. Vor allem auch im Zusammenhang mit unabsehbaren Einschränkungen wegen Corona könnten auch Video-Konzertaufnahmen im Internet (etwa bei YouTube) neues Publikum quasi zu Hause abholen und das Wuppertaler Orchester im herrlichen Konzertsaal der Historischen Stadthalle so digital in die Welt ausstrahlen. Auf die Orchesterarbeit mit Kindern und Jugendlichen und in den Schulen soll unbedingt aufgebaut werden.
Natürlich möchte Patrick Hahn auch weiterhin Einladungen zu Gastdirigaten annehmen, aber durchaus als Teil der Gesellschaft in Wuppertal auch zu Hause sein. Das ständige Hetzen von Ort zu Ort kreuz und quer durch Europa mache einerseits Spaß, berge aber auch die Gefahr der Vereinsamung. Musik sei sein Leben, außergewöhnliche Hobbys hat er keine. Sehr gerne „tanke er auf“ – als Familienmensch zu Hause in der Steiermark bei der Großfamilie ohne Termine, ohne Gespräche mit Managern und Verwaltungen, Musikern und Solisten.
Eins steht auf jeden Fall fest: Das Wuppertaler Publikum ist sehr gespannt und freut sich schon jetzt auf seinen neuen, jungen Generalmusikdirektor.