Top Wuppertal: Samu/elle Striewski Wenn das Gehirn aus Versehen wieder anspringt

Wuppertal · Zum ersten schwarzen Tee des Tages spricht Samu/elle Striewski über das Oxford-Stipendium, die vorangegangene Zeit im Studium, über Wuppertal – und über Drag.

Samu/elle Striewski wird bald in Oxford wohl nicht nur einen, sondern gleich zwei Masterstudiengänge machen. Außerdem engagiert sich dey 24-Jährige im queeren Aktivismus – und feiert Drag.

Foto: Samu/elle Striewski

Es ist ziemlich früh und vor allem noch vor dem ersten Kaffee beziehungsweise schwarzen Tee, als Samu/elle Striewski am Telefon erzählt, dass dey eine halbe Stunde lang geheult hat, als klar wurde, dass dey das Stipendium für die Fortsetzung des Studiums in Oxford bekommen hat. Doch kurz vorab: Weil Samu/elle Striewski sich als non-binäre Person identiziert, werden dementsprechend die Pronomen angepasst: Es gibt weder sie noch er, sondern die Form „dey (deren/denen)“ – „das eingedeutschte ,they‘ aus dem Englischen“, dessen Verwendung Samu/elle Striewski empfiehlt.

Und nun von Anfang an: Samu/elle Striewski ist 24 Jahre alt, aufgewachsen ist dey in Wuppertal und hat schon während der Schulzeit freiwillig Uni-Seminare zu Logik oder Heidegger besucht. Später hat Striewski am Carl-Fuhlrott-Gymnasium das Abitur gemacht, danach „eine Weile rumgedümpelt“ und ein Musik-Album aufgenommen, bis dey schließlich zuerst Physik und Mathe an der Bergischen Universität studiert hat – um sich dann um zu entscheiden und in Berlin über die Literaturwissenschaft und die Philosophie im Doppel-Bachelor auch zu Gender Studies zu kommen. (Bilder)

Bilder: Samu/elle Striewski und Drag
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Samu/elle Striewski

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Foto: Samu/elle Striewski

Zwischendurch ging es für das Studium und wegen des Aktivismus‘ nach New York und Paris, inzwischen lebt dey auch in Frankfurt, um sich mit der Kritischen Theorie und der Neuen Frankfurter Schule auseinanderzusetzen. Und um deren Hobby und Leidenschaft nachzugehen: Drag.

Striewski spricht trotz der frühen Uhrzeit schnell, dey hat aber eben auch viel Spannendes zu erzählen. Wie viele Stunden deren Tag wohl hat, in dem Aktivismus, Drag, doppelte Studiengänge und aus Interesse besuchte Seminare Platz finden? „Zu wenige“, lautet die Antwort.

Viel Zeit von Striewski ist in die Bewerbung für das Oxford-Stipendium geflossen, die aus mehreren Referenzen, Artikeln und Essays bestand. Der schwierigste Part war es wohl, Antworten auf die Fragen zu finden: „Wer man ist, was man sich von der Erfahrung in Oxford erhofft – und wie man die Welt verändern will“, berichtet Striewski. „Das sind so große Fragen, ich dachte, dass jede Antwort trivial ist.“

Waren sie wohl nicht, denn dey 24-Jährige wurde nicht nur zum Finale in Berlin eingeladen, das wohl ähnlich dramatisch ablief wie eine Folge Germany’s Next Topmodel“, sondern bekam einer weiteren Studentin aus Deutschland am Ende des langen Finaltages das Foto ..., äh, das Stipendium. Der Aufwand hat sich gelohnt: „Ich habe mich als Person beworben und werde als Person gefördert“, erklärt Striewski. Das bedeutet, dass dey zunächst einmal mindestens den Master in Politischer Theorie macht (vielleicht sogar noch Geschichte dazu), um später zu promovieren. Wenn zwischendurch doch wieder Mathe und Physik spannend sind, darf Striewski sich umentscheiden.

Weil es sich um eine Uni-Stadt handelt, hofft Striewski, möglichst viel Zeit in der Bibliothek zu verbringen, sich nicht von den vielen Aufgaben und Ideen im queeren und Bi+-Aktivismus sowie Drag ablenken zu lassen. „Das war in New York toll“, berichtet dey. „Da konnte ich mich auch um Mitternacht noch in die Bib setzen, wenn das Gehirn zufällig wieder angesprungen ist.“

Aufgeben wird dey diese Leidenschaften aber nicht für die Zeit in Oxford. Im Bundesverband BiNe (Bisexuelles Netzwerk) engagiert Striewski sich seit Oktober im Vorstand, organisiert Veranstaltungen oder setzt sich für die Rechte bi+sexueller Menschen ein. Und neben dem Aktivismus spielt auch der Drag eine große, wichtige Rolle in deys Leben.

Immer wieder besucht dey Treffen und Veranstaltungen – und verbindet damit so viel mehr als mit der Sendung „Drag Race“, die Drag etwas flach darstellt. „Viele waren noch nie so richtig in einer Live-Show“, sagt Striewski, dey es liebte, in Paris und New York Shows anzusehen oder auch mitzumachen. „Drag hat eine ganz eigene Ästhetik. Da gibt es viele, die Comedy auf ganz hohem Niveau machen, oder die aus dem Flick-Flack direkt in den Spagat springen. Alles ist sehr liebevoll und nicht bloß eine sexualisierte Show.“

Häufig werden den Menschen aus der Szene Rechte abgesprochen, queerfeindliche Positionen setzen sich wieder durch, berichtet Striewski. „Drag als Wahlfamilie wird zur Notwendigkeit. Es kann ein Ort sein an der Schwelle zwischen Ausgestoßensein und Utopie. Das macht mir direkt Gänsehaut.“

Um zu merken, dass es Drag und eine queere Szene in Wuppertal gibt, musste Striewski übrigens die Stadt verlassen. Gelebt hat dey an der Grenze zu Velbert: „Von meinem Fenster aus konnte ich die Kühe sehen.“ Hin und wieder kehrt dey noch für einen Workshop zurück, zuletzt im Café Swane, dessen hierarchielose Innenarchitektur dey schätzt. Und jedes Mal wird Striewski sehr andächtig, wenn dey mit dem ICE in die Stadt einfährt. Und den Weitblick von den Höhen aus genießt dey auch sehr: „Da kommt man aus seinem Sumpf heraus.“