Bergische Uni Wuppertals „Norwegisches Holzhaus“ als Vorbild

Wuppertal · Prof. Dr.-Ing. Christoph Grafe Christoph Grafe von der Bergischen Uni über Wuppertals erstes Fertighaus und die Geschichte des Holzbaus.

Das Norwegische Holzhaus im Wuppertaler Stadtbezirk Uellendahl-Katernberg am Rande des Mirker Hains.

Foto: UniService Transfer

Im jahr 1516 beschrieb Leonardo da Vinci (1452-1519) sein Vorhaben, eine ausschließlich aus zerlegbaren Typenhäusern bestehende Idealstadt an der Loire zu errichten. Zwar wurde diese Idee nie umgesetzt, zeigt aber, wie früh sich schon Architekten mit beweglichen Wohnstätten auseinandergesetzt haben.

Das sehr frühe Beispiel eines zerlegbaren Fertighauses steht in Wuppertal an der Kohlstraße 64. Das als das „Norwegische Holzhaus“ bezeichnete Objekt hält die Denkmalbehörde Wuppertal für ein bedeutendes Gebäude der Architekturgeschichte. Christoph Grafe, Architekt an der Bergischen Universität, weiß mehr über die Geschichte und die Zukunft des mobilen Holzbaus.

Die Karibische Hütte als Vorbild

„Das Norwegische Holzhaus hat eine ganz interessante Geschichte“, beginnt er, „es wurde ja zunächst für die Weltausstellung 1900 in Paris gebaut und errichtet. Dann hat es der Bankier August Freiherr von der Heydt gekauft. Das Haus wurde dann mit der Eisenbahn transportiert und in Wuppertal wieder zusammengesetzt.“ Zwar sei das „Norwegische Holzhaus“ damals in Paris nicht das einzige Holzhaus gewesen, auch andere Gebäude wurden in verschiedene Länder verkauft, aber es sei sicher das einzige Fertighaus der Weltausstellung, welches bis heute in Wuppertal stehe.

Für den Verlauf der Erfolgsgeschichte dieser Bauten müsse man jedoch bereits mit der Weltausstellung 1851 in London beginnen. „Die Mutter aller Weltausstellungen in London, die große Weltausstellung 1851, zeigte schon die neuesten technischen Entwicklungen und brachte aber auch alles, was in der Welt existierte, zusammen“, erzählt Grafe. „Ein Aspekt davon war u.a. der, dass in London 1851 eine sogenannte ,Karibische Hütte‘ aufgebaut wurde. Das war eine ganz einfache Konstruktion aus Holz, die aber für die Architekturgeschichte ganz wichtig gewesen ist, weil zum ersten Mal ein ethnologischer Aspekt sowie die Tradition vom Bauen von Völkern außerhalb von Europa oder auch von ländlichen Regionen in Europa, Teil der Ausstellung waren.“

Prof. Dr.-Ing. Christoph Grafe leitet seit 2013 den Lehrstuhl für Architekturgeschichte und -theorie an der Bergischen Universität.

Foto: UniService Transfer

Neben den technologischen Neuerungen suchten die Fachleute also auch nach traditionellen Bauformen. „Gottfried Semper, einer der wesentlichen Architekturtheoretiker des 19. Jahrhunderts, hat aufgrund dieser Erfahrungen mit der ,Karibischen Hütt‘e neue Aspekte der Architekturtheorie formuliert. Diese Volksarchitektur, ob europäisch oder nicht, wird aufgenommen, und es gibt ein Interesse an deren Bauweisen.“

Die industrielle Revolution entdeckt die Holzbauweise

Schon in der industriellen Revolution orientierten sich Architekturen an der Leichtbauweise. Das Interesse an Massenfertigungen wuchs, und man ließ sich von traditionellen Bauweisen inspirieren. „Gleichzeitig gibt es in Nordamerika schon die Tradition des sogenannten Holzrahmenbaus (Ballon-frame). Das ist eine Holzbauweise, die hochgradig industrialisiert ist und aus ganz wenigen Einzelelementen besteht“, erklärt der Fachmann. „Das ist ein Rahmen, der mit absolut standardisierten Größen operiert, der sehr schnell gebaut werden kann und auch keine wertvollen Hölzer benötigt, sondern mit den Hölzern arbeiten kann, die in großer Anzahl vorhanden sind. Das ist eine Bautätigkeit, die in Nordamerika völlig normal ist, selten findet man dort Steinhäuser.“

Auch in Skandinavien habe das Holz in der Alltagsarchitektur immer eine wesentliche Rolle gespielt, erklärt Grafe. „Das Baumaterial Holz gab es in Hülle und Fülle. Der einzige dort vorhandene Naturstein wäre Granit gewesen, damit kann man in der Regel nicht bauen. Man kennt das auch aus Filmen von Schweden und Norwegen - Dänemark gehört nicht dazu, die haben eine Backsteintradition -. In den waldreichen Gebieten Skandinaviens ist das Holzhaus das Normalhaus gewesen. Selbst bei größeren Bauvorhaben setzt man auf Holz.“

Das wachsende Haus

Zwar seien im 19. Jahrhundert bereits viele Arbeitersiedlungen mit Typenhäusern errichtet worden, um der Wohnungsnot Herr zu werden, der tatsächliche Durchbruch kam aber dann erst nach dem Ersten Weltkrieg. 1931 schlug der Berliner Architekt und Stadtbaumeister Martin Wagner das sogenannte „Wachsende Haus“ vor, berichtet Grafe. „Das sind ganz einfache, moderne Fertighäuser, vorwiegend aus Holz. Der Hintergrund ist der, dass man dachte, dass die Wohnungsnot gelindert werden kann, indem teilweise auch Selbstbau möglich ist. Mit einem vorfabrizierten Haus ist ja verbunden, dass man weniger spezialisierte Arbeiter braucht, weil die Dinge, ähnlich wie ein Ikea-Paket, vorgefertigt sind, so dass der Zusammenbau auch von jemandem gemacht werden kann, der das nicht gelernt hat. Das war die Idee vom Bauen in Eigeninitiative für Arbeiter und geht zusammen mit der Idee des Siedlungsbaus. Das Haus stand dann auf einem Grundstück, wo man auch eigene Lebensmittel anbauen konnte. Das war dann wiederum auch verbunden mit der Idee der Gartenstadt.“

Bei Wagner sei es besonders interessant, denn nicht umsonst heiße es das „Wachsende Haus“. Man könne das Haus also auch erweitern. „Das ist ein wesentlicher Aspekt, dass man nämlich aus Holzbauteilen etwas macht, dass sich vergleichsweise einfach anpassen lässt. Man kann das Haus nach finanziellen Möglichkeiten oder nach der Familiensituation erst einmal klein halten, aber bei Bedarf auch ausbauen.“

Freistehende Häuser können hohe Dichte erzeugen

Holz- und Fertighäuser sind jedoch in der städtebaulichen Planung nicht unproblematisch, denn die Konzepte gehen in der Regel vom freistehenden Einzelhaus aus. „Wir haben im Augenblick die Tendenz, Hochhäuser aus Holz zu bauen, da gibt es auch eine Reihe von Beispielen“, sagt Grafe, „gleichzeitig gibt es Untersuchungen von Wohnvierteln, die eine relativ hohe Dichte haben, aber nicht unbedingt in die Höhe gehen.“

Grafe nennt ein Beispiel: „Es gibt eine Reihe von Wohnvierteln in Selbstbauweise des ursprünglich aus Deutschland stammenden Architekten Walter Segal in London, der auch aus dieser Wagnerischen Tradition kommt. Er hat Siedlungen in Selbstbauweise in Holz mit maximal zwei Stockwerken geplant. Die sind intelligent und dicht verschachtelt, und die Grundstücke sind nicht sehr groß. Das geht, indem man z. B. das Parken zentralisiert und es landschaftlich einbettet, so dass diese Häuser mittlerweile häufig mit den Bäumen darum verwachsen sind. Manchmal muten diese Häuser wie Baumhäuser an, wodurch das unglaublich idyllisch ist. Vom Platzbedarf her sind sie sehr dicht. Das heißt, man kann durchaus Einzelhäuser bauen. Auch in Japan gibt es das Beispiel kleiner zweistöckiger Häuser. Eine intelligente Freiraumlandschaftsplanung und Parzellierung sind notwendig und auch eine gewisse Gliederung, dass die Privatheit nicht gestört ist. Dann kann man auch mit dem Einzelhaus eine hohe Dichte erzielen.“

Grafe war vor kurzer Zeit vor Ort und hat sich das damalige Projekt noch einmal angesehen. „Das ist wirklich eindrucksvoll. Die Häuser sind so circa 30 Jahre alt und werden offensichtlich heiß und innig von den Bewohnern geliebt. Die Kombination von einer relativ hohen Dichte und dem sehr entspannten Wohnen, das man wahrnehmen kann, überzeugt.“

Dieses Projekt erzeuge wirklich eine attraktive Wohnumgebung, die Grundstücksgröße sei zwar relativ begrenzt, aber gleichzeitig sehe man, dass die Leute Veranden oder Wintergärten, oder noch ein Extrazimmer auf eine Art und Weise angebaut hätten, wie es mit einem Steinhaus nicht möglich gewesen wäre. „Man kann sehen, dass es das ist, was die Leute eigentlich wollen. Im Einfamilienhaus in Privatheit und Freiheit mit einer Gestaltungsfreiheit leben, und das geht in dieser Bauform besonders gut.“

Solar Decathlon Europe – aufbauen statt neu bauen

Der Hochschulwettbewerb Solar Decathlon Europe (SDE) kam 2022 zum ersten Mal nach Deutschland und baute auf dem Gelände des Mirker Bahnhofs. 18 Teams aus elf Ländern qualifizierten sich damals für den urbanen Zehnkampf für nachhaltiges Bauen und Leben in Wuppertal. Sie planten, bauten und betrieben Solarhäuser mit neutraler und sogar positiver Energiebilanz. Der SDE stand daher unter dem Motto „Design - Build - Operate“. Auch dort wurde Holz als einer der wichtigsten Werkstoffe der Zukunft verwendet.

„Beim SDE spielt aber noch etwas anderes eine Rolle“, sagt Grafe, „weil zum ersten Mal diese Ideen für Passivhäuser in einem existierenden urbanen Kontext gedacht waren. Die Prämisse war, dass diese Beispiele im Grunde Erweiterung und häufig auch Aufstockung von bestehenden Gebäuden sein sollten. Keine Planung eines Neubaus auf der grünen Wiese. Diese Gebäude sind ergänzend zu schon etwas Bestehendem gemacht, also eine Erweiterung einer bestehenden Struktur.“

Die Aufstockung sei im Augenblick ein ganz wesentliches Architekturthema, denn man könne nicht weiter das letzte Stückchen Grün bebauen, sondern müsse eigentlich nach oben bauen. „Dann ist es logischerweise so, dass wir Leichtbauweise auch untersuchen müssen. Wenn ich obendrauf baue, will ich nicht schwer bauen. Dann wird das Baumaterial Holz sehr interessant, denn es ist weniger schwer und konstruktiv sehr anpassbar.“

Holz – der Zukunftsrohstoff für die Bauindustrie?

Auch das Wuppertal Institut arbeitete mit dem Projekt „Holzwende 2020plus“ an nachhaltigen Zukunftsmärkten für den nachwachsenden Rohstoff Holz im Bereich Neubau und Gebäudesanierung. Aber tut sich da wirklich was in Wuppertal? „In der Praxis ist das noch zu wenig, da ist noch Luft nach oben“, sagt Grafe. „Die in Wuppertal ausgewiesenen Wohngebiete sind doch sehr konventionell, es sind eben die Materialien, die die Bauindustrie so jetzt anbietet. Das gilt nicht nur für Wuppertal, das gilt für ganz Deutschland. Es werden im Augenblick die Klimaziele im Bauen vielfach mit Materialien erreicht, die eigentlich nicht nachhaltig sind. Es wird enorm viel mit Silikon gearbeitet, es werden viele Materialien aus dem Kunststoffbereich eingesetzt, von denen wir nicht nur nicht wissen, wie sie sich verhalten, sondern auch davon ausgehen müssen, dass sie in zwanzig Jahren entsorgt werden müssen.“

Das sei mit Holz nicht der Fall. Nach seiner Einschätzung gebe es in Wuppertal augenblicklich kein Projekt, wo man im Bereich der Baumaterialien neue Schritte gehe. „Das sind verpasste Chancen!“ Beim Baumaterial Holz habe es in den letzten 25 Jahren einen enormen technologischen Innovationssprung gegeben. Heute könnten fertige Wandteile, zum Teil auch Träger oder zusammengestellte Deckenkonstruktionen geliefert werden, die viel mehr könnten, sehr viel performanter seien und größere Überspannungen gewährleisteten. „Das kommt den Klimazielen entgegen und wird auch gefördert.“

Dazu müssten sich aber auch die Toleranzen der Menschen zueinander verändern, erklärt der Architekt zum Schluss und sagt: „Der Holzbau ist sicher immer hellhöriger als der Steinbau, man bekommt sehr viel vom Nachbarn mit, aber wir haben mit Holz die Freiheit, selber zu gestalten. Da gibt es mehr Möglichkeiten, als im klassischen Einfamilienhausbau.“