Top Wuppertal Lutz Werner Hesse: Elses Gedichte sprangen ihn direkt an

Wuppertal · Vor kurzem wurde sein op. 82, ein Werk für riesiges Orchester, zwei Chöre, Mezzosopran und Sprecher im Großen Saal der Stadthalle uraufgeführt – mit gewaltigem Applaus für das sinfonische Gedicht zu Ehren des 150. Geburtstages von Else Lasker-Schüler. Komponiert hat das Werk Lutz Werner Hesse. Wer ist dieser Mann?

Lutz Werner Hesse.

Foto: Karl-Heinz Krauskopf

Geboren wurde Lutz Werner Hesse in Bad Godesberg. Mit zwölf Jahren hörte er die 3. Sinfonie von Gustav Mahler: Diese Musik faszinierte ihn dermaßen, dass er sogleich anfing, Noten aufzuschreiben, von denen aber, so sagt er, Gottseidank nichts erhalten geblieben sei. Als Junge lernte er Horn und Klavier, begründete damit allerdings keine Wunderkind-Karriere. Seine musikalische Sozialisation erfolgte durch die damals modernen Musiktruhen mit Plattenspieler, dank derer mit den Aufnahmen der Deutschen Grammophon schon ein Klangerlebnis in HIFI-Qualität möglich war. Der halbwüchsige Lutz Werner konnte sich damals nicht satt hören an den Beethovenschen Sinfonien des Gewandhausorchesters Leipzig unter Franz Konwitschny.

Nach dem Studium von Schulmusik, Latein, alter Geschichte, Komposition und Musikwissenschaft trat er in den Schuldienst ein und wechselte nach zwei Jahren als Dozent für Musikwissenschaft und Tonsatz an die Hochschule für Musik und Tanz Köln, Standort Wuppertal. Inzwischen Professor, leitet Lutz Werner Hesse seit 2009 dieses ehrwürdige Institut, welches im ehemaligen denkmalgeschützten Barmer Justizgebäude ein schönes und geeignetes Domizil für die knapp 200 Studierenden und 68 Dozenten gefunden hat. Die Hochschulkonzerte mit Studierenden aus der ganzen Welt bieten den Wuppertalern ein reiches musikalisches Programm – Genuss bei stets freiem Eintritt.

Während für Rachmaninow „Komposition einen wesentlichen Teil seiner Existenz wie Atmen oder Essen darstellte“ und er ständig „seinen Gedanken tonalen Ausdruck verleihen musste“, versteht Hesse sein Leben anders. Natürlich lebt und brennt er für die Musik, stellt aber fest, dass das allein nicht ausreicht. Die Verwaltung der Musikhochschule, das Eintreten für die Interessen von Studierenden und Dozenten, für die Musik in der Hochschullandschaft wie in Grund- und weiterführenden Schulen, hält er für außerordentlich wichtig. Aber auch das gesellschaftliche Interesse an der Musik fördert er unermüdlich und mit großem. Erfolg. Seit 2003 sitzt er der traditionsreichen Konzertgesellschaft vor, die inzwischen in der 155. Saison das Musikleben der Stadt prägt. Seine unterhaltsamen und informativen Einführungen in die Sinfoniekonzerte weiß eine große Besuchergemeinde seit Jahren zu schätzen.

Und der Komponist Hesse? „Wer beherrscht Kontrapunkt und bezifferte Bässe, komponiert virtuos Esse, Cesse und auch Desse?“ – das fragte ein reim-begabter Kollege. Zum Komponieren braucht er Muße. Kompositorisch kommt er nicht von der Improvisation her. Seine Musik orientiert sich nicht am Dogma Adornos, der nach der nationalsozialistischen Kulturkatastrophe nur noch atonale Musik für möglich und sinnvoll erachtete. Lutz Werner Hesse ist kein Adrian Leverkühn, seine Musik entspricht nicht der Avantgarde, die in Donaueschingen oder Witten aufgeführt wird. Emotionen, Themen und Motive kennzeichnen seine allerdings durchaus nicht konventionellen Kompositionen.

Couragiert stellt er sich der musikalischen „Avantgarde“ entgegen, will sein Publikum erreichen, wenn er am Keyboard, seiner „Notenschreibmaschine“, die musikalischen Einfälle in Noten umsetzt. Die „Last der Tradition“ bei ständiger Verfügbarkeit derselben auf CD oder jetzt gar mit „Streaming“ macht das Komponieren heutzutage nicht einfacher. Hesse leiten Ehrlichkeit und Authentizität des musikalischen Ausdrucks.

Bei seiner letzten großen Komposition „Ich habe Dich gewählt …“, die im Gefolge der Orchesterlieder Gustav Mahlers gesehen werden kann, habe er zu Anfang Gedichte von Else Lasker-Schüler gesucht, die ihn „direkt ansprangen“. Komponiert habe er unter dem Stress, dass zumindest Chor und Solistenpart zu einem festen Datum fertig sein mussten, da eine gewisse Zeit für die Einstudierung benötigt wird. Immer zweifelnd, ob die musikalischen Gedanken ausreichend tragen, komponierte er im Verlauf einiger Monate das dichte und eindrucksvolle Werk.

Lutz Werner Hesse komponiert am Keyboard, seiner „Notenschreibmaschine“.

Foto: Karl-Heinz Krauskopf

Hesse schrieb Kammermusik, vier Sinfonien, das „Konzert für Orchester“, „Variationen ohne Thema“, ein Violin- und ein Hornkonzert, ein Konzert für Mandoline und Streichorchester, die „Vita di San Francesco – Elf Stationen aus dem Leben des Heiligen Franziskus von Assisi“ für Orgel und 13 Gongs und vieles mehr. Seine Stücke wurden immer wieder vom WDR und anderen Rundfunkanstalten mitgeschnitten, außerdem auch im Ausland bis hin in die USA und Japan aufgeführt. Mehrfach gewann er Kompositionswettbewerbe.

Aus seiner Jugend stammt bei Lutz Werner Hesse aber nicht nur die Liebe zur Musik, sondern auch im Gefolge von Jim Knopf das Interesse für China. Auf dem Klavier in seinem Direktorenzimmer fallen drei chinesische Skulpturen mit chinesischen Instrumenten auf. Er selbst komponierte vor Jahren ein Konzert für chinesische Wölbbrett-Zither (Zheng) und Orchester, welches in Wuppertal auch uraufgeführt wurde. Etwas später besuchte Lutz Werner Hesse zweimal China und bereiste den Norden wie den Süden.

Neben der Musik gilt sein besonderes Interesse der bildenden Kunst, hängen doch in seinem Arbeitszimmer drei große, abstrakte Gemälde seiner Frau Ines Pröve Hesse, die als Malerin seit vielen Jahren regelmäßig ausstellt. Sein großes Vorbild Gustav Mahler erregte in Hamburg vor mehr als 100 Jahren nicht nur als Kapellmeister, sondern auch als Radfahrer großes Interesse, fuhr er doch stets mit dem Fahrrad zur Oper. Lutz Werner Hesse dagegen fällt heute, wenn er – schönes Wetter vorausgesetzt – zu seiner Hochschule radelt, auf der Nordbahntrasse unter vielen anderen gar nicht weiter auf.