„WOW - Women of Wuppertal“ 40 Lieder, 25 Sprachen, mehr als 30 Länder
Wuppertal · Hayat Chaoui und ihr interkultureller Frauenchor „WOW - Women of Wuppertal“.
In Liedern werden Geschichten, Märchen und Gedichte bewahrt. Kinder schlafen ein zu Gute-Nacht-Liedern, begeistern sich für Nonsens-Lieder und Alte erinnern sich gerne an Kinderlieder ihrer Jugend. Lieder werden gemeinsam gesungen bei Trauer und Freude, greifen Traditionen auf. Und dass „Volkslieder eine Fundgrube der schönsten Melodien sind und den Blick öffnen in den Charakter der verschiedenen Nationen“, wusste schon Robert Schumann, der an den Einwanderungskulturen in Deutschland heute musikalisch seine Freude gehabt hätte.
Deren meist mündlich überlieferte Lieder wecken Emotionen, heimatliche Erinnerungen und bei gemeinsamem Singen entdecken die Sängerinnen und Sänger aus den verschiedensten Kulturkreisen, dass die großen Themen Freude, Hoffnung, Trauer und natürlich die Liebe behandelt werden – wahrscheinlich ja sogar von Amsel und Nachtigall mit ihren Balzliedern im Frühling. Als 2015 wegen Krieg und Hunger viele, viele Menschen aus Asien, Afrika, Lateinamerika und arabischen Ländern nach Europa und Deutschland flohen, keimte bei Hayat Chaoui die Idee auf, Frauen aus den verschiedensten Kulturen zu gemeinsamen Treffen einzuladen, um miteinander zu singen.
Hayat Chaoui, geboren in Frankfurt als Kind aus Marokko eingewanderter Eltern, war schon in der Grundschule immer und überall dabei, wo gesungen wurde. Auf dem musischen Goethe-Gymnasium sang sie als 14-jährige „Carmina Burana“ in der Alten Oper mit, ein Schlüsselerlebnis. Mit 17 wurde sie in den Jugendchor des Hessischen Rundfunks aufgenommen und erhielt, gefördert von Eltern und Lehrern ihres Gymnasiums, professionellen Gesangsunterricht.
Mit ihrem Gesangsquartett gewann sie den Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“, wurde von ihrer Jurorin Professor Barbara Schlick zum Gesangsstudium motiviert und kam so nach Wuppertal. Da hatte sie das Lehramtsstudium (Englisch, Französisch) und die Chorsängerausbildung in Mainz schon abgeschlossen. Nach dem Konzertexamen hat sie freiberuflich vor allem in Benelux und der Schweiz als Oratoriensängerin alle bekannten Partien gesungen.
Sprachlich und schauspielerisch immer interessiert, entdeckte sie bald die Salonmusik für sich und konzertierte als Solistin in verschiedenen Ensembles, zuletzt jetzt in der interkulturellen Jazz-Formation „Ufermann“. Als Fachbetreuerin „Gesang“ in der Bergischen Musikschule entwickelte sie „KIWI: Kinder- und Wiegenlieder aus aller Welt“. Hayat Chaoui wusste aus eigenem Erleben, welche Bedeutung gemeinsames Singen für Sänger und Sängerinnen und will mit ihrem interkulturellen Chor und Liedrepertoire auf das Zusammentreffen verschiedenster Kulturen, auf die Einwanderungsgesellschaft hier seit 2015 reagieren.
Das Corona-Virus hat trotz aller Einschränkungen die Stimmen nicht zum Schweigen gebracht. Jobcenter und alpha e.V. förderten diese musikalischen Frauentreffen, weil sie glaubten, dass auf diese Weise Selbstvertrauen und Bewerbungskompetenz der Teilnehmerinnen mit Migrationshintergrund gestärkt werden kann. Inzwischen bringen die Frauen ihre Kinder mit, die parallel zur Chorprobe eine musikalische Grundausbildung erhalten.
So begann das wöchentlichen Chor-Singen – zunächst mit zehn Frauen. Inzwischen treffen sich um die 50 Frauen zwischen 20 und 80 Jahren regelmäßig. „Singen ist eine Befreiung, eine Form von Protest“, sagt Nasrin aus Persien. Nahezu jede Sängerin brachte Lieder aus ihrer Heimat mit. Der Erfolg des Chores schlägt sich in seinen Auftritten nieder – in Offenbach, Innsbruck oder zuletzt im Elberfelder Hauptbahnhof bei einem Flashmob. Der Chor „WoW – Women of Wuppertal“ wurde vom Deutschen Kulturrat 2018 für den Nationalen Integrationspreis der Bundeskanzlerin nominiert.
40 der Lieder wurden aufgeschrieben, von Jürgen Blume für zwei- bis dreistimmigen Frauenchor arrangiert und zu einem Chorbuch zusammengefasst. Den Professor für Musiktheorie kennt Hayat Chaoui seit ihrem Studium in Mainz. Die Lieder erscheinen in der Originalsprache von Arabisch bis Yoruba, der Niger-Kongo-Sprache in Westafrika. Jedes Lied wird erläutert und im Anhang finden sich Übersetzungen und Aussprachehilfen in Deutsch und Englisch.
Etliche Sängerinnen sind im Band mit Bildern von Bettina Osswald fotografisch porträtiert und beschreiben, worin für sie die Faszination gemeinsamen Singens besteht: Für Kadriye bricht zwischenmenschliches Eis, für Georgina ist Musik Friedensstifter und für Sonia singt man im Chor mit einem Herz und einer Seele.
Dieses interkulturelle Chorbuch wurde von Breitkopf & Härtel sorgfältig editiert, herausgebracht und mit dem Deutschen Musikeditionspreis „Best Edition“ ausgezeichnet. Den Preis erhalten Autorinnen und Autoren sowie Musikverlage, die in „Zeiten der Nivellierung kultureller Leistungen“ Zeichen gesetzt haben gegen Fotokopien und andere Provisorien. Am 5. Februar haben die Wuppertaler „Women of the World“ den „Chor der Welt“ der Elbphilharmonie in Hamburg (Leitung: Jörg Mall) besucht.
Dieser Hamburger Chor war in Vorbereitung des Festivals „Salam Syria“ 2016 kurz vor Eröffnung des gigantischen Konzerthauses über der Elbe gegründet worden, wo er zu Hause ist. Nach gemeinsamen Proben in der Elbphilharmonie wurde im großen Saal des Bürgerhauses Wilhelmsburg mit dem „Ensemble Reflektor“, Tugrul Türken (Baglama, Daburka) und Roman Babik am Klavier gemeinsam ein ausverkauftes Konzert mit Lieblingsstücken aus der Heimat der Mitglieder beider Chöre gesungen. Es gab viel Spaß, eine Riesenstimmung und tosenden Applaus. Zukünftig wird der Hamburger „Chor der Welt“ auch aus dem interkulturellen Chorbuch der „WOW“ singen.