Neues aus dem Taltontheater Zwischen Humor und Horrorvision

Wuppertal · In einer nahen Zukunft entscheidet das Blut über die Zukunft der Menschen. Nur wer ein gutes Rating hat, kann etwas werden. Das Taltontheater (TTT) hat mit „Die Laborantin“ von Ella Road ein modernes Drama mit düsterer Botschaft auf dem Spielplan. Das Premierenpublikum zeigte sich nachdenklich und begeistert.

Daniela Stibane als Bea und Nicolas Funken als Aaron in "Die Laborantin" von Ella Road, das zurzeit Taltontheater zu sehen ist.

Foto: Joachim Schmitz

Etwa zweieinhalb Stunden mit Pause fesselt die Inszenierung, die zwischen Humor (ja, es gibt komische Momente) und Horrorvision pendelt. Menschen können nur noch einen guten Beruf erlernen, heiraten oder Kinder bekommen, wenn ihre Blutwerte gut sind. Sind sie „Subs“, also liegen ihre Werte unter 5 (von 10), sollen sie sich sterilisieren lassen (freiwillig natürlich, als Akt der Solidarität), werden im Krankenhaus nicht mehr behandelt und dürfen nur noch ihresgleichen heiraten. Der Betrug mit Bluttests wird zur großen Einnahmequelle.

2018 bei der Uraufführung war das Stück der jungen Britin Ella Road eine reine Dystopie. Dann kam Corona ... Plötzlich musste man überall seinen Gesundheitszustand kundtun, es ging um Tests, Ergebnisse und „sich solidarisch verhalten“. Das hatte Ella Road fast schon prophetisch vorhergesagt.

In der Wuppertaler Inszenierung von „Die Laborantin“ geht Regisseur Benjamin Breutel (auch Bühnenbild und Dramaturgie) zu Beginn auf ganz aktuelle Geschehnisse ein. In einer Videoeinspielung erklärt Gesundheitsminister Karl Lauterbach die elektronische Patientenakte und wie diese alsbald der Forschung dienen soll.

Dann erst tauchen aus dem Dunklen die vier Figuren des Stückes auf. Sie stehen in einem weißen Raum (Krankenhaus, Wohnung, Bahnhof), der von einem Fluss aus weißen Steinen geteilt wird. Hauptfigur ist Bea (Rating 7,1), die in einem Labor die Testergebnisse mit den Patienten besprechen muss. Als ihr homosexueller Freund Char (im Original eine Freundin) eine 2,2 erhält und sie anfleht, für ihn das Ergebnis zu manipulieren, knickt Bea ein und entwickelt daraus einen illegalen Nebenverdienst. Parallel entwickelt sich eine Liebesbeziehung zwischen Bea und Aaron (Rating 8,9). Und ein merkwürdiger Hausmeister mit Rating 9,1 weiß über alles Bescheid.

Das Ensemble ist klasse. Akram Al Homsy spielt Char mit zahlreichen Facetten: Freude, Trauer, Wut, Panik, Euphorie und schließlich den körperlichen und seelischen Verfall bringt er sehr deutlich auf die Bühne. Daniela Stibane zeigt ebenfalls eine beachtliche schauspielerische Leistung: Ihre Bea entwickelt sich von der unsicheren, armen Laborangestellten zur arroganten Bestimmerin von Lebenswürdigkeit. Sie rät sogar Eltern dazu, ihre „Sub-Babys“ töten zu lassen.

An ihrer Seite steht Aaron (Nicolas Funken) – ein Quell guter Laune, der immer einen lockeren Spruch auf den Lippen hat. Diese Rolle ist der lustige Joker im Stück und Nicolas Funken dafür die ideale Besetzung. Mit jungenhaftem Charme bringt er nicht nur Bea, sondern auch das Publikum zum Schmunzeln. Am Schluss ist ihm dann allerdings nicht mehr zum Lachen zumute.

Außerdem mit von der Partie: Hartmut Kies in der Rolle des David – er ist ein Aussteiger, der vom System her die besten Chancen hätte, diese jedoch nicht nutzt und damit glücklich ist.

Die Wuppertaler Inszenierung setzt Videosequenzen, Licht (Sabine Lumpe) und Sound- sowie Musikeffekte (Bastian Klingelhöller) ein, um die jeweilige Stimmung zu unterstreichen.

Insgesamt ein packender Stoff in einer sehenswerten Bühnenfassung.