Premiere im Opernhaus Wenn sogar die Muse steppt

Wuppertal · Wer weiß noch was vom Thalia-Theater am Islandufer? Mindestens alle, die die Premiere der „Wupperetten“-Revue „Von Thalia geküsst“ gesehen haben.

Im Meer der Federfächer: Edith Grossman als leibhaftige Muse Thalia zusammen mit damen des Opernchores.

Foto: Patrick Gawandtka

Mit diesem besonderen Format startet die Oper ins Jahr 2025 – und mischt Operetten-Geschichte mit lokaler Historie. Ganz ohne Kopflastigkeit.

Das Thalia-Theater stand von 1906 bis 1967 dort, wo sich heute der Sparkassen-Turm erhebt. In den 30er Jahren war das Haus höchst erfolgreich – dank seines Direktors Robert Riemer. „Von Thalia geküsst“ beginnt 1929, als Riemer das Thalia wiedereröffnet – und endet 1933, als die Nazis ihn vertrieben. Opern-Intendantin Rebekah Rota hat als Regisseurin zusammen mit Dramaturgin Laura Knoll eine Geschichte um diese Ereignisse gebaut, in der zahlreiche (auch im Thalia tatsächlich gespielte) Musikstücke vorkommen – und Wuppertal immer wieder im Vordergrund steht.

Die intelligent genutzte Bühne (Sabine Lindner) zeigt das alte Thalia, lässt große Revue-Showbühnen-Erinnerungen mit Treppen und Lichtbögen wieder aufleben. Wunderbar ergänzt von üppigen Kostümen (Elisabeth von Blumenthal und Petra Leidner), die vor allem von den glitzernden 20er und 30er Jahren geprägt sind.

Nicht aus Wuppertal, sondern aus „Im weißen Rössl“: Der Opernchor mit Ralph Benatzkys „Wenn es hier mal richtig regnet“.

Foto: Patrick Gawandtka

Zu schwungvoller, ja manchmal richtig schmissiger Musik des von Jan Michael Horstmann dirigierten Sinfonieorchesters entfaltet das vielköpfige Ensemble ein Melodien-Medley, das augenzwinkernd viele weitgehend unbekannte und gut zu Wuppertal passende Schlager ebenso bietet wie große Hits der Operetten-Welt.

Ganz zauberhaft zum Beispiel das „Lippen schweigen, s’flüstern Geigen“-Duett aus Lehars „Lustiger Witwe“ – voller Gefühl präsentiert von Sangmin Yeon und Rinnat Moriah, die aus dem Rückraum die Stimme der am Premierentag erkrankten Margaux de Valensart „übernimmt“. Margaux de Valensart spielt ihre Rolle „nur“ – doch das tut sie ausgefeilt.

Der wahre Knaller ist jedoch der Song „Mädel, fahr mit mir Schwebebahn“: Vor hin- und herfahrenden Schwebebahnmodellen ist die Bühne voll – und voller Freude. Das quasi gesamte Ensemble, der starke Opernchor sowie die bestens aufgelegte Tanzstatisterie „rocken“ das Opernhaus. Flächendeckendes Mitsingen und Mitklatschen im begeisterten Publikum inklusive. Da legt sogar Edith Grossman als persönlich anwesende Muse Thalia eine Stepptanz-Einlage hin.

Sie und ihr raumfüllender Sopran ergänzen sich fein mit dem warmen, vollen Bariton Zachary Wilsons: Beide sind hier ein Paar. Das sich allerdings am Ende schmerzlich trennen muss. Da ergeht es Merlin Wagner als Journalist Peter Herzenbruch und seiner Luise (Elia Cohen-Weissert) besser: Sie lernen sich auf Umwegen kennen, verlieben sich und bleiben beieinander.

Gut ausgewählt auch die Besetzung von Robert Riemer und seiner Gattin Frieda: Oliver Weidinger und Vera Egorova sind sowohl in Sachen Sprech-Spiel als auch Gesang stark und überzeugend.

Zum Ende der rund anderthalbstündigen (pausenfreien) Aufführung hängen manche Handlungsfäden, fällt die Revue etwas ab. Mit den Mitteln der Operette lässt sich die Finsternis dessen, was ab 1933 über ganz Europa zu kommen begann, nur an der Oberfläche spürbar machen.

Dessen ungeachtet: „Von Thalia geküsst“ ist eine klasse Idee, um ein Stück lokaler Geschichte mit der großen Operetten-Bühne zu verbinden. Ein feiner Kunstgriff – und ein leckerer Schmaus für Augen und Ohren.