Nach Toreschluss - die Wochenendsatire Modellbahn 2.0
Wuppertal · Der drohende Streik der Gewerkschaft der Lokführer, die bei hunderprozentiger Reduzierung der Wochenarbeitszeit 30 Prozent mehr Gehalt fordert, könnte den Zugverkehr in Deutschland ausgerechnet an Weihnachten zum Erliegen bringen.
Deshalb müsste für die Bahn ein Projekt von Interesse sein, an dem ein naher Verwandter von uns seit seiner Pensionierung im Hobbykeller arbeitet. Er will seine Modelleisenbahnanlage so weit digitalisieren, dass alle Züge autonom fahren, selbst wenn er gar nicht da ist.
Bei einem Familienessen wollte er voriges Wochenende den Zwischenstand seiner Bemühungen präsentieren, rutschte deshalb bei Kaffee und Kuchen schon die ganze Zeit unruhig auf dem Stuhl hin und her und konnte es gar nicht abwarten, die Gäste endlich in den Keller zu lotsen. Dort fiel unser Blick auf eine imposante Sperrholzlandschaft („Das muss noch modelliert werden“), die von einem wirren Gleisgeflecht durchzogen war. Ich hatte als Köttel auch eine Modelleisenbahn, die aus einem Kreis und einer Weiche zu einem Abstellgleis bestand und von daher ziemlich übersichtlich war. Das in diesem Keller vorhandene Schienengeschlöngels erinnerte mich dagegen eher an einen Teller Spaghetti.
Von daher überraschte mich die vollmundige Ankündigung, dass der Konstrukteur dieser Anlage die unzähligen Weichen dank genialer Programmierung komplett computergesteuert unter Kontrolle habe. Die Stadtwerke kriegen bei der Schwebebahn ja schon eine einzige nicht in den Griff, aber im Keller des Hobbylokführers scheißen ja auch keine Tauben auf die Anlage. Selbige fuhr er jetzt hoch, erweckte dabei ein digitales Kontrollpult samt Apple-Notebook zum Leben und stellte sich so selbstbewusst davor wie einst Mister Spock vor den Bordcomputer von Raumschiff Enterprise.
Im Licht Tausender kleiner Lämpchen, Leuchten und Dioden fiel mir auf, dass die Sperrholzwelt eine Art Untergeschoss hatte, wo Züge quasi unsichtbar parkten. „Wieso tust du die Züge da hin, wo man sie gar nicht sieht?“, fragte ich laienhaft. Das, so wurde ich belehrt, sei ein Schattenbahnhof. Ich vermutete zunächst, dass es sich also um eine Nachbildung des Wuppertaler Hauptbahnhofs handeln müsse, den man ja auch am liebsten tief unter der Erde verstecken würde.
„Nein, nein, den brauche ich, weil ich nur vier Gleiskreise, aber neun Züge habe. Die überzähligen stelle ich da ab“, klärte mich der Bahnsteuermann auf und erzählte dann vom 290-seitigen Handbuch, mit dessen Hilfe er die Programmierung bewältigt habe. Dann tippte er auf den Displays rum, bis sich im Schattenbahnhof ein Güterzug in Bewegung setzte. Leider machte er ein schlimmes Geräusch und entgleiste nach rund 15 Zentimetern Fahrstrecke.
Bestürzt krabbelte sein Führer unter die Anlage und kam Minuten später mit rotem Kopf wieder raus. „Das ist noch nie passiert“, schnaufte er und fokussierte sich jetzt auf den ICE, der stolz im Modellbahnhof auf seine Aktivierung wartete. Auf das digitale Signal hin fuhr er los. Aber leider in die falsche Richtung, was zur Kollision mit dem inzwischen wiederbelebten Güterzug führte.
„Was ist denn mit dem ICE los“, rief unser Märklin-Mastermind entgeistert - und sprach damit einen Satz aus, den wir aus der echten Eisenbahnwelt nur allzugut kennen. Eine erste Problemanalyse ergab, dass man leider nicht genau wissen könne, wo beim ICE hinten und vorne ist, weil ja beide Seiten exakt gleich aussehen. Da habe er bei der Programmierung wohl was verwechselt.
Schlagartig wurde mir in diesem Moment klar, woher die falschen Wagenreihungen bei den echten ICEs kommen. Und seit dieser eindrucksvollen Vorführung weiß ich auch, dass die Gewerkschaft der Lokführer den Arbeitskampf gewinnen wird. Unser Hobby-Bahnchef hat den mit der Digitalisierung nämlich verloren ...
Bis die Tage!