Nach Toreschluss - die Wochenendsatire Das Feeling hat gefehlt
Wuppertal · Früher konnte der Sturz eines Bundeskanzlers nur durch ein konstruktives Misstrauensvotum herbeigeführt werden. Heute reicht schon Jogging. Trotzdem finde ich es gemein, dass jetzt so viele Witze über Olaf Scholz gemacht werden, nur weil er aussieht wie ein Piratenkapitän im Maßanzug.
Immerhin ist der Mann sogar im hohen Alter noch sportlich, während sich der deutsche Nachwuchs kaum noch schnell bewegt. Das konnte man zuletzt beispielsweise bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften beobachten, wo wir keine einzige Medaille gewonnen haben.
Goldig waren dabei eigentlich nur die Erklärungen für die Leistungen, die Deutschland im Medaillenspiegel den geteilten Platz 47 hinter Grenada, Botswana und Peru eingebracht hat. Herausragend in dieser Disziplin war Speerwerfer Julian Weber, der als Europameister nur Vierter wurde und seine mäßige Weite darauf zurückführte, dass die Abwurflinie zu weit vom Rasen entfernt war. Ihm habe dann das Feeling ein bisschen gefehlt.
Jetzt wird mir endlich klar, warum ich 1973 bei den Bundesjugendspielen im Schlagballweitwurf hinter meinen eigenen Erwartungen zurückgeblieben bin. Da war nämlich überhaupt kein Rasen hinter der Abwurflinie, sondern nur Asche, weil das Ganze auf dem Stadionnebenplatz stattfand ...
Apropos Bundesjugendspiele: Die sollen ja demnächst kein Wettkampf mehr sein, damit Kinder auf gar keinen Fall frustriert werden oder gar verlieren. Die Weiten und Zeiten werden auch nur noch grob gemessen und nicht mehr mit Punkten bewertet, auf dass der kleine Finn Malte sich auch mit zwei Minuten zwanzig im 100-Meter-Sprint noch gut fühlt und über das ganze pausbäckige Gesichtchen strahlen kann. Dieses Modell wäre auch ideal für die deutschen Leichtathleten bei den Olympischen Spielen in Paris, damit die da nicht mehr so traurige Interviews geben müssen, wenn das Feeling wieder fehlt.
Beim Fußball ist es übrigens so ähnlich: Da soll es ab nächster Saison für die jüngeren Kinder laut Homepage des DFB künftig keine Meisterschaftsrunden mehr geben, sondern nur noch Spielenachmittage und Festivals. Damit folgt man dem Vorbild der Fußball-Nationalmannschaft, die das Gewinnen seit geraumer Zeit ebenfalls abgeschafft hat. Außerdem spielt der Nachwuchs künftig nicht mehr auf zwei, sondern auf vier Tore, damit mehr Treffer erzielt werden können. Das wäre natürlich auch ein interessantes Modell für die Mannschaft von Hansi Flick, deren nicht vorhandene Stürmer ja schwerpunktmäßig knapp an der Bude vorbei schießen. Wenn man zwei Tore nebeneinander stellt, wären die Dinger dann alle drin ...
Nun besagt eine uralte Sportweisheit allerdings, dass man am meisten aus Niederlagen lernt. Wenn es die nicht mehr gibt, weil alle nur noch miteinander, statt gegeneinander spielen, dann steht ja zu befürchten, dass unsere Spitzensportler demnächst noch schlechter werden. Ich sehe die ersten Innenverteidiger im Trikot mit dem Adler auf der Brust vor mir, die nach Durchlaufen der angstfreien Fußballgrundausbildung gegnerische Stürmer auf die Schulter nehmen, damit die besser an den Kopfball kommen. Killekille statt Killerinstinkt und Bewegungsgeiz statt Ehrgeiz werden dafür sorgen, dass das martialische Wort Wettkampfhärte ausstirbt und wir sportlich zum Rückentwicklungsland werden.
Zu den nächsten Leichtathletik-Weltmeisterschaften schicken wir dann nur noch Kampfrichter. Kleiner Trost: Weniger Medaillen als die Athleten werden die ja auch nicht holen ...
Bis die Tage!