Kirchenkreis Wuppertal Der Pfarrer im Streifenwagen

Wuppertal · Silvesterkrawalle, Beschimpfungen, Gewalt: Als Seelsorger steht Michael Clauß Polizistinnen und Polizisten ehrenamtlich seit 33 Jahren zur Seite. Ein Job, für den es Standfestigkeit und Ruhe braucht.

Michael Clauß in Elberfeld.

Foto: Sabine Damaschke

Ob die Brandkatastrophe am Düsseldorfer Flughafen, das Zugunglück von Eschede oder der Absturz der Wuppertaler Schwebebahn: Die großen Katastrophen der vergangenen dreißig Jahre hat Michael Clauß alle direkt miterlebt. Dazu unzählige Einsätze mit den Hundertschaften der Wuppertaler Polizei bei den G7-Gipfeln in Heiligendamm und Hamburg, bei Castor-Transporten und Fußballspielen.

Auch bei schweren Verkehrsunfällen oder nach Attacken auf Polizistinnen und Polizisten ist der Seelsorger vor Ort. Mit seinem Polizeifahrzeug und der gelben Weste ist er direkt als Seelsorger zu erkennen. „Ich bin da und halte mit aus, was die Beamten erleben und verkraften müssen“, sagt Clauß. „Mir können sie alles erzählen, denn als Pfarrer stehe ich unter Schweigepflicht und habe ein Zeugnisverweigerungsrecht.“

Das schafft Vertrauen in schwierigen Situationen, die Polizistinnen und Polizisten bewältigen und mental verarbeiten müssen. Dazu gehören neben dem Anblick schwer verletzter oder gar getöteter Menschen laut Clauß zunehmend nicht nur verbale, sondern auch körperliche Angriffe aggressiver Bürgerinnen und Bürger. „Auf üble Beschimpfungen folgen nicht selten Fußtritte oder sogar Messerattacken“, weiß Michael Clauß. Besonders, wenn Alkohol im Spiel ist, kann es kritisch werden.

„Vor den Silvesternächsten herrscht schon seit den Ausschreitungen in Köln zum Jahreswechsel 2016 große Nervosität“, erzählt der Pfarrer. „Auch an Heiligabend wissen die diensthabenden Beamten, dass sie ab 22 Uhr wegen häuslicher Gewalt gerufen werden.“

Spitzname: „Der Bär“

Michael Clauß fährt daher an Weihnachten immer in die verschiedenen Polizeiwachen in Wuppertal, Remscheid und Solingen, für die er als Polizeiseelsorger zuständig ist. Um für die gute Zusammenarbeit im vergangenen Jahr zu danken und etwas von der Nervosität aufzufangen, die dann zu spüren ist. Den „Bären“ nennen sie ihn dort augenzwinkernd. Ein Spitzname, der dem Seelsorger gefällt, denn er passt zu ihm.

Groß sei er und breit, meint er lachend, aber vor allem auch ruhig. „Ich bin nicht leicht aus der Fassung zu bringen“, sagt der Pfarrer. „Das war schon immer so, aber ich habe mich auch in Supervision, Trauma- und Körpertherapie weitergebildet und dort viel gelernt, wie man mit belastenden Situationen umgehen kann.“

Oberstes Gebot: Ruhe bewahren

Ruhe sei dabei immer das oberste Gebot, erklärt er. Wenn Michael Clauß zu einem Einsatzort gerufen wird, meldet er sich zunächst beim Einsatzleiter, beobachtet die Szene an und bleibt im Hintergrund – bereit für Gespräche, aber nie drängt er sich auf. „Meistens stehen alle unter Strom und jeder funktioniert“, erklärt er. „Doch die Bilder von Verletzen oder Toten prägen sich ein. Wenn Kinder darunter sind, ist es besonders schwer.“

Die meisten Gespräche mit dem Seelsorger finden daher in den Tagen nach den Einsätzen statt. Manchmal in der ganzen Gruppe auf der Wache, ein anderes Mal kommen die Polizistinnen und Polizisten zu ihm nach Hause in seine Praxis, um sich ungestört alles von der Seele zu reden. Bei schweren Traumatisierungen vermittelt Michael Clauß eine Psychotherapie.

Seelsorge wird geschätzt und gebraucht

„Die Offenheit, über die Belastungen des Berufs zu reden, hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen“, berichtet er. „Es liegt sicher auch daran, dass inzwischen mehr Frauen als Polizistinnen arbeiten.“ Schon in der Ausbildung werde zudem mehr Wert auf die psychische Gesundheit gelegt, beobachtet Clauß. Und dazu gehöre, Bewältigungsstrategien zu erlernen und auf die eigenen Grenzen zu achten.

Für ihn selbst gilt das auch. Sonst hätte Michael Clauß diesen Job nicht seit 33 Jahren ehrenamtlich machen können. Inzwischen ist er mit seinen 69 Jahren pensioniert, aber denkt noch nicht daran, auch sein Ehrenamt aufzugeben. Eine Rolle, die er noch so lange spielen möchte, wie er gebraucht und geschätzt wird. „Ich bin inzwischen der dienstälteste Seelsorger und ein Exot unter den Polizeipfarrern", lacht Michael Clauß.