Konsumgenossenschaft Vorwärts Die Wirtschaft in eigener Hand

Wuppertal · 1899 gegründet, versorgte die Konsumgenossenschaft Vorwärts bald das Tal. Heute bemüht sich ein Verein, damit sie nicht in Vergessenheit gerät.

Stefan Kühn (li.) und Arno Mersmann an einem Eingang zum Gebäude der Konsumgenossenschaft an der Münzstraße.

Stefan Kühn (li.) und Arno Mersmann an einem Eingang zum Gebäude der Konsumgenossenschaft an der Münzstraße.

Foto: kom

Brot ist ein Grundnahrungsmittel. Als solches gilt es heute noch, und das war auch schon vor 125 Jahren so: Damals gründete sich die Konsumgenossenschaft Vorwärts in Barmen, 25 Jahre später schlossen sich die Konsumgenossenschaften Elberfeld, Barmen und Velbert zusammen – weiterhin war es das Wichtigste, die Mitglieder mit Brot zu versorgen, und so wurden in den Räumen der Genossenschaft an der Münzstraße bis zu 50.000 Brote gebacken. Damit wurden die ungefähr 30.000 Arbeiter und ihre Familien versorgt – man geht deshalb von sogar 100.000 Menschen aus, die von den Broten aus der Münzstraße gelebt haben.

Doch die Konsumgenossenschaft war noch viel mehr: Sie bot Arbeitsplätze, Wohnungen und dem Kapitalismus die Stirn – denn hier erlangten die Mitglieder die Hoheit über die Produktionsmittel: „Wir wollen unsere Wirtschaft in die eigenen Hände nehmen und darin behalten.“

 In den Häusern rechts haben damals viele Mitglieder der Genossenschaft mit ihren Familien gelebt.

In den Häusern rechts haben damals viele Mitglieder der Genossenschaft mit ihren Familien gelebt.

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Die Struktur der Konsumgenossenschaft sah vor, dass alle Mitglieder Entscheidungen trafen, dass erwirtschaftete Überschüsse an sie ausgezahlt wurden, sich eine Selbsthilfegesellschaft der vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ergab, so berichten es Arno Mersmann und Stefan Kühn als Mitglieder des Vereins Ehemalige Konsumgesellschaft Vorwärts, der im Jahr 2004 gegründet wurde.

Und so kam es auch, dass die Konsumgesellschaften alle möglichen Waren – also all die Dinge und Lebensmittel, die eine Familie eben zum Leben braucht – selbst herstellten und untereinander austauschten: Etwa Nähmaschinen oder Streichhölzer, aus Düsseldorf kamen Seifen und Waschmittel, hier an der Münzstraße wurde Kaffee geröstet.

Dieser fair organisierte Großhandel benötigte Platz und eine gute Anbindung, um Rohstoffe angeliefert zu bekommen und sie im Tal zu verteilen: Daher wählte die Genossenschaft den Standort direkt an der Nordbahntrasse, stattete das zweifach unterkellerte Gebäude mit Gleisen bis in den Keller hinein aus und richtete sich eine Backstube ein, die über mehrere Etagen, Auszugsysteme und Rohre für besonders effiziente Arbeitsschritte verfügte.

Außerdem wurde sehr viel Wert auf Hygiene gelegt – eine Ausnahme damals. Modern war auch die Architektur des Gebäudes: Man hat sich damals bewusst für Jugendstil-Elemente entscheiden, in Abgrenzung zur Industrialisierung. „Früher standen hier keine Bäume und man konnte das Gebäude von Weitem sehen. Die Mitglieder waren auch stolz darauf“, erklärt Arno Mersmann.

Bis in den Keller hinein konnten die Waren per Bahn geliefert werden.

Bis in den Keller hinein konnten die Waren per Bahn geliefert werden.

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Doch die goldenen Zeiten der Genossenschaft endeten, als die Nazis an die Macht kamen: Die SA saß in dem großen Gebäude an der Münzstraße, die Untergeschosse wurden zu Folterkellern, bis das KZ Kemna gebaut wurde. Noch heute ist deshalb über einer Tür im Untergeschoss das Wort „Waffenkammer“ zu lesen, das an schreckliche Zeiten erinnert. Nach dem Krieg wurde in der ehemaligen Genossenschaft eine Flüchtlingsunterkunft eingerichtet, im Laufe der Jahrzehnte wurden immer wieder Geflüchtete hier untergebracht.

Und dann gründete sich vor 20 Jahren der Verein Ehemalige Konsumgenossenschaft Vorwärts, der das inzwischen leer stehende Gebäude vor dem Verfall rettete. Mit dem Jobcenter – und dadurch mit dem ehemaligen Sozialdezernten Stefan Kühn – wurde das Gebäude renoviert, historische Gegenstände wurden für die Ausstellung gesammelt, die nun in den Räumen der alten Bäckerei besucht werden kann.

Die anderen Etagen stehen übrigens leer – eine Bäckerei oder eine Kaffeerösterei würde hier sicher gut reinpassen – wie vor 125 Jahren am besten mit guten Gehaltsbedingungen, strenger Tarifbindung und dem Anspruch, die Wirtschaft in die eigenen Hände zu nehmen und sie dort zu behalten.