Kommentar Der Applaus von damals scheint verklungen
Wuppertal · Dass Corona unsere Gesellschaft, ja vielleicht die Welt, verändern würde, war schon vor Monaten klar, als die Dimension des Ganzen absehbar zu werden begann. Die Frage war und ist allerdings unverändert: Wohin verändert Corona unsere Gesellschaft?
Wenn ich mir – nur so als kleinen Ausschnitt der Gegenwart – die aktuelle Diskussion über die (Warn-)Streiks im öffentlichen Dienst anschaue, würde ich sagen: Corona verändert unsere Gesellschaft zu nichts Gutem.
Bestens in Erinnerung ist mir noch das abendlichen Applaudieren auf Balkonen und an offenen Fenstern zu Beginn der Pandemie. So sollten all jene gelobt und unterstützt werden, die in zahlreichen Berufssegmenten das System in Bewegung hielten. Zu diesen Systembewegern gehör(t)en beispielsweise auch Busfahrer, Müllwerker oder Frauen und Männer an zahlreichen Schreibtischen der Stadtverwaltung. Von diesem Symbol-Applaus, den ich auch schon seinerzeit für eine zwar von Herzen gut gemeinte, aber inhaltlich leere Aktions-Hülse gehalten habe, ist nichts mehr (oder zumindest nicht mehr viel) übrig.
Jetzt nämlich streiken diese Menschen – und andere – als Mitglieder der Dienstleistungsgewerkschaft „ver.di“, um eine angemessene Erhöhung ihrer Einkommen durchzusetzen. Das allerdings erscheint vielen Bürgern (angesichts von Corona, Kurzarbeit & Co.) als völlig unverschämt – und welche Adjektive nicht sonst noch in Leserbriefen oder anderswo benutzt werden.
Ich möchte mitten im Wuppertaler Engels-Jahr einmal daran erinnern: Im Kampf um das Recht, Gewerkschaften zu haben und streiken zu können, sind in der Geschichte dieses Landes (und anderswo ebenfalls) viele Menschen gestorben. Und ein Streik macht nur dann Sinn, wenn er Wirkung zeigt – sprich: wenn er wehtut.
Ich kann natürlich nachvollziehen, dass ÖPNV-Warnstreiks vielen Menschen, die auf Busse und Bahnen angewiesen sind, mächtig sauer aufstoßen. Und ich verstehe auch, dass Menschen, die als in der freien Wirtschaft Beschäftigte mit teilweise seit Monaten andauernder Kurarbeit konfrontiert sind, eine „Krawatte bekommen“ (so die Formulierung eines unserer Leserbriefschreiber), wenn jetzt Teile des öffentlichen Dienstes, wo es natürlich keine Kurzarbeit gibt, phasenweise die Arbeit niederlegen. Ja – das ist alles absolut nachvollziehbar.
Aber die Solidarität von „damals“ zu Corona-Beginn, von der allüberall groß getönt wurde, sollte uns – falls sie nicht nur ein Wir-haben-uns-alle-lieb-Getöse war – klarmachen, dass wir alle an einem Strang ziehen. Sollte sie ... Ich habe zurzeit den Eindruck, dass die aktuelle Corona-Situation die Spaltungstendenzen innerhalb unserer Gesellschaft eher verstärkt. Wo Begriffe wie „Abriegelung“, „Schließung“, „Eindämmung“ und „Reglementierung“ den Diskurs dominieren, hat das offene Denken wenig Oberwasser. Blickt man in Sachen aktueller Debatten aufs Wuppertaler Rathaus oder auf die Wuppertaler Kommunalpolitik: Da herrscht Funkstille ...
Am 1. November startet Uwe Schneidewind als neuer Oberbürgermeister. Der Mann hat seinen Wahlkampf mit Begriffen wie „Visionen“, „Mut“, Weitsicht“ oder „Aufbruch“ geführt – und klar gewonnen. Um den Zeitpunkt, zu dem er auf den OB-Sessel steigt, beneide ich ihn nicht.