Pianistin Yuka Schneider „Töne haben ihre eigene Sprache“

Wuppertal · Die Pianistin und Hochschullehrerin Yuka Schneider von der Bergischen Uni in Wuppertal über die mannigfaltigen Klangfarben des Klaviers.

Yuka Schneider unterrichtet an der Bergischen Universität Wuppertal seit dem Sommersemester 2011 als hauptamtliche, künstlerische Lehrkraft das Fach Klavier.

Foto: UniService Transfer

Der Verband deutscher Musikschulen (VdM) veröffentlichte 2020 eine Statistik mit den beliebtesten Musikinstrumenten, die von Kindern und Jugendlichen gespielt werden. Darin liegt das Klavier mit über 160.000 Schülerinnen und Schüler klar mit 30.000 Tastenbegeisterten vor der Gitarre. An der Bergischen Universität lehrt die studierte Pianistin Yuka Schneider seit 2011 die enorme Bandbreite dieses Instruments, welches nicht immer so war, wie wir es heute kennen.

88 Tasten umfasst eine vollständige Klaviatur, doch das war nicht immer so. „Am Anfang, als das Klavier entwickelt wurde, 1701 etwa, da gab es 54 Tasten“, erzählt Schneider. „Mit der Zeit wurde das dann auf zunächst 61 und dann 73 Tasten erweitert.“ Auch hätten verschiedene Komponisten Wünsche geäußert und ihre Werke dementsprechend komponiert, berichtet sie, so dass es seit 1890 nunmehr konstant 88 Tasten gäbe.

„88 Tasten sind siebeneinhalb Oktaven. Das ist das maximale, was Menschen als Intervalle wahrnehmen können, also sowohl in der Tiefe, als auch in der Höhe“, weiß Schneider. Zwar könne man noch etwas höhere Töne hören, aber das nehme man dann als ein Piepsen wahr.

Yuka Schneider hat an der Staatlichen Musikhochschule Köln, Standort Wuppertal, studiert. „Damals musste man natürlich viel üben, das ist ja auch Teil des Studiums“, lacht die gebürtige Japanerin, die während ihrer intensiven Studienphase auch schon mal zehn Stunden spielte. Schmerzende Finger seien dabei nie das Problem gewesen, erklärt sie, aber der Kopf mache dann irgendwann nicht mehr mit. „Ich konnte am besten morgens zwei Stunden, dann, nach einer Pause noch einmal zwei Stunden und am Abend die letzten zwei Stunden üben. Das Wichtigste waren immer die morgendlichen zwei Stunden, weil man da wirklich frisch ist. Es ist ja nicht nur der sportliche Aspekt, wenn man viele Töne schnell hintereinander spielt, sondern vor allem die Kopfleistung, man denkt ständig mit. Das kann man nicht mehrere Stunden hintereinander durchhalten.“

Heute sieht sie das alles gelassener und sagt: „Ich bin im Berufsleben, habe Familie und es ist einfach nicht mehr so viel Zeit da wie im Studium. Heute nutze ich auch die Zeit zwischen meinem Unterricht, also, wenn ich da 15 Minuten Luft habe, dann übe ich natürlich. Ich habe auch mit der Zeit gelernt, dass man nicht immer zwei Stunden komplett trainieren muss, denn das ist irgendwann Luxus. Auch kurze Übungsphasen können sehr effektiv sein.“

Japan und die klassische, europäische Musik

Bereits in ihrem Geburtsland Japan wuchs Schneider mit der europäischen Musik auf. „Das war nichts Besonderes. Ich gehöre zu einem Babyboomjahrgang, und da war es normal, dass jedes Kind ein Instrument lernte. Daher war Klavier, Geige oder so nie exotisch.“ Im Gegenteil, denn mit japanischen Instrumenten könne man nicht alles darstellen. „Die haben ganz bestimmte Klänge und Tonleitern. Damit kann man nicht alles abdecken. Kinderlieder sind z.B. schwierig und es wäre sehr mühsam, alles für diese Instrumente umzuschreiben“, erklärt sie.

Mit europäischen Instrumenten könne man Lieder, Popsongs usw. schneller darstellen. „Ich selber beherrsche gar keine japanischen Instrumente, die haben eine andere Notation, da braucht man ganz anderes Notenmaterial und andere Tonfolgen, die man extra lernen muss.“

Im 20. Jahrhundert konnte man feststellen, dass die europäische Errungenschaft der klassischen Musik in Asien stark rezipiert wurde. Bach, Mozart, Beethoven und auch Wagner werden heute beim asiatischen Publikum begeistert gefeiert. Aber woher kommt diese Begeisterung? Schneider erklärt es sich aufgrund der 200jährigen Abschließung des Landes. Die Edo-Zeit spielte da eine wesentliche Rolle. Zwischen 1603 und 1868 herrschten in Japan die sogenannten Tokugawa-Shogune. Fast 250 Jahre gab es zwar dadurch im Land den längsten Frieden Japans, jedoch fehlten auch jegliche Einflüsse von außen.

Das Christentum, dass durch Missionare bereits auch die Kirchenmusik mitgebracht hatte, wurde verboten. „Als das Land sich dann endlich wieder öffnete, kam sozusagen alles auf einmal“, erzählt Schneider, „auch die Musik. Die Menschen waren regelrecht hungrig nach neuen Einflüssen, weil alles verboten war. Sie haben alles aufgesogen und auch sofort akzeptiert, denn, wenn man so lange unter dieser Geschlossenheit gelebt hatte, nichts kennenlernen durfte, hat man Neuem gegenüber nicht unbedingt eine kritische Haltung. Und so hat sich auch sehr schnell die europäische Musik von Beethoven, Bach, Mozart usw. etabliert.“

Kammermusik – ein musikalisches miteinander Kommunizieren

An der Staatlichen Hochschule für Musik in Mannheim absolvierte Schneider noch ein Aufbaustudium in den Fächern Klavierkammermusik und Liedgestaltung und nahm an vielen Meisterkursen teil. Die Kammermusik faszinierte sie dabei am meisten.

„Kammermusik ist für mich ein Erlebnis des miteinander Kommunizierens, eine Unterhaltung“, sagt sie, und das beginne in der Probenphase und ende in der Aufführung. „Als Pianistin hat man ja auch immer die Qual der Wahl. Es gibt so viele Stücke für Solo, man könnte auch gut alleine musizieren. Wir haben kein Problem mit einem Repertoire, aber ich habe irgendwann gemerkt, dass es meine Stärke ist, mich besser auszudrücken, wenn ich mit anderen zusammenspiele.“

Die Interpretation der Stücke hänge immer auch von den jeweiligen Partnern ab und auch die Lebensphase, in der sich ein Musiker befände, sei ein ausschlaggebender Faktor bei der Umsetzung. „In der Kammermusik ergänzen sich die Partner, und das liebe ich. Es gibt Proben, wo sie wahnsinnig viel diskutieren, und auch das ist schön. Es ist ein Genuss mit den Mitspielern loszulegen und sich zu ergänzen, man spielt frei und interpretiert, man reagiert auf das Spiel des anderen.“

Interpretationen spiegeln Farben und Gefühle wieder

„Faszinierend für mich ist, dass ein Lied in seiner Knappheit so viele Farben und Gefühle ausdrücken kann“, sagt Schneider und weist damit auf die umfangreichen Möglichkeiten der Interpretationen hin. Lieder an sich seien da noch etwas schwieriger zu interpretieren, da man sowohl Musik und Text habe. „Texte sind da nicht so eindeutig als Töne. Es gibt klassische Texte, die nicht klar zeigen, ob eine Frau oder ein Mann die Worte sagt. Auch Ironie oder Sarkasmus in Texten kann man nicht unbedingt sofort verstehen“, erklärt Schneider das Dilemma. „Töne hingegen, haben ihre eigene Sprache. Da kommen die Variationsmöglichkeiten zum Tragen.“

Die Musik entwickele sich immer weiter und fasst alle Stücke, die Schneider in ihrem Leben gespielt hat, klangen anders. „Da spielt das Alter auch eine Rolle“, erklärt sie, „wenn man Anfang 20 ist, hat man so viel Energie. Wenn man älter wird, fühlt man sich anders und auch die Energie ist dann anders. Meine alten Noten, die ich im Studium benutzt habe, haben alle Anmerkungen von mir. Und wenn ich heute da hineinschaue, verstehe ich zwar, was ich damals gemeint habe, aber ich denke heute anders darüber.“

Schneiders Wunsch an Studierende: Flexibilität mitbringen

Seit 2011 lehrt sie an der Bergischen Universität das Fach Klavier. Ihre Studierenden werden nicht zu Pianisten ausgebildet, sondern arbeiten als zukünftige Musiklehrerinnen und -lehrer an Schulen. „Es gibt Studierende, die studieren mit einer engen Sicht, weil sie nur Klassik oder nur Pop mögen. Das ist schon in Ordnung und sie können auch später ihre Prioritäten umsetzen, aber sie haben an der Uni die Möglichkeiten erst einmal alles kennenzulernen.“

Daher wünscht sich die Musikerin in erster Linie eine offene und flexible Einstellung zum Fach. „Ich versuche immer von Barock bis heute eine Bandbreite anzubieten und wünsche mir immer die Bereitschaft der Studierenden, das alles kennenlernen zu wollen. Wenn die Offenheit da ist, kann man auch lernen.“

Online-Angeboten, die auch in der Musik in den vergangenen Jahren zugenommen haben, steht sie kritisch gegenüber, denn man müsse sich auch mit dem historischen Notenmaterial beschäftigen. „Gerade in der Klassik gibt es so viele interessante Kompositionen und das funktioniert nicht nur ausschließlich über das Gehör, da muss man auch an die schriftlichen Kompositionen ran. Diese Grundlagen sind wichtig, wenn man später in der Schule arbeitet“, betont sie.

Duo und Quintett

Neben ihrer Lehrtätigkeit spielt Schneider noch in zwei Formationen mit. Mit der Konzertsängerin Nelly Palmer hat sie bereits mehrere Programme präsentiert, in denen sie bekannte, klassische Kompositionen und unbekannte Werke vereinen, die sie unter so anregenden Themen wie z.B. Traumreise oder Wasser präsentieren. In der Coronazeit hat sich dann noch die Möglichkeit ergeben in einem neugegründeten Quintett mitzuspielen. Unter dem Namen ,klanghoch4‘ formiert die Pianistin mit einem Bassisten, einer Sopranistin, einer Altistin sowie einem Tenor. Einen ersten Vorgeschmack präsentierten sie bereits im vergangenem Sommer in einer Open-Air-Veranstaltung mit Liebesliederwalzern von Johannes Brahms.

Brahms schon immer und Beethoven immer mehr

Auf ein Lieblingsrepertoire angesprochen, fallen Schneider viele Komponisten und unterschiedliche Gründe ein. „Was ich als Musikerin immer geliebt habe ist Brahms“, sagt sie spontan. „Was das Klavierspiel angeht, so spiele ich sehr gerne Mozart, den kann man auch leichter vermitteln. Bei Brahms kämpfe ich noch, wie man den vollen, schönen Klang am besten rüberbringt. Das ist immer noch beim Spielen viel Arbeit, sich diesen Komponisten anzueignen. Auch die Musik der Jahrhundertwende ist sehr faszinierend und gut zu vermitteln. Man merkt, die Komponisten wollen aufbrechen, aber wissen noch nicht genau, wohin.“

Generell ist sie jeder Art von Musik zugetan, gibt aber zu, dass ihr Techno und jede Art von Schlager persönlich nicht so zusage. Ein weiterer klassischer Komponist ist in den letzten Jahren hingegen für die professionelle Musikerin immer wichtiger geworden. „Je älter ich werde, desto genialer finde ich Beethoven. Er ist zweifelsohne auch im Studium ein wichtiger Komponist für die Klassische Musik, um nicht zu sagen, er ist einer der wichtigsten. Er greift auch auf die Entwicklung der Instrumente zurück. In seinen 32 Sonaten zum Beispiel kann man sehen und hören, wie sich in der Zeit das Instrument entwickelt hat. Es ist schon unglaublich, dass jemand, der auch so ein schweres Leben hatte, so eine enorme tiefgründige Musik geschaffen hat. Das fasziniert mich immer mehr. Ich kann gar kein bestimmtes Stück nennen, aber Beethoven wird immer stärker.“

Highlight war ein Fazioli

Schneider hat im Laufe der Jahre bei diversen Engagements viele Veranstaltungsstätten und Instrumente kennengelernt. Nicht immer passen diese zusammen. Ist der Raum zu klein, wirkt ein Konzertflügel oft überproportioniert und auch andersherum macht das Spielen nicht unbedingt Spaß. „Aber irgendwann habe ich mir vorgenommen, ein Konzert nicht mehr über die Qualität des Instrumentes zu beurteilen, denn das ist unser Schicksal als Künstler. Wir müssen mit den Instrumenten vor Ort klarkommen und das Beste daraus machen. Auch in diesen Fällen müssen wir ein interessantes Konzert gestalten“, sagt sie bestimmt.

Ein besonderes Konzert in Weimar bleibt ihr dennoch in bester Erinnerung. „Einmal habe ich einen Fazioli (italienischer Konzertflügel) gespielt und das war wirklich ein Genuss“, schwärmt sie zum Schluss, „man konnte einfach spielen, es war wie Butter. Das war ein Moment, wo ich total baff war. Ob hohe oder tiefe Lage, es war genial, nie scharf, nie zu laut, nie zu leise, ich konnte pianissimo alles machen und es funktionierte. Das war ein Privileg.“