Bergische Uni Wuppertal Ein ukrainisch-russisch-deutsches Gespräch

Wuppertal · Besatzungserfahrung damals und heute – das ist das Thema einer Podiumsdiskussion, die am 21. November an der Bergischen Universität Wuppertal stattfindet. Um 18 Uhr diskutieren in Hörsaal 33 (K.11.24) Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Prof. Dr. Gelinada Grinchenko und Prof. Dr. Irina Sherbakova. Mehr zu den Gästen und zu den Hintergründen des Abends verrät Moderatorin und Organisatorin der Veranstaltung, Prof. Dr. Tatjana Tönsmeyer (Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte), im Interview.

Prof. Tatjana Tönsmeyer von der Bergischen Uni.

Foto: Bergische Universität

ACHTUNG: Die Veranstaltung ist abgesagt, weil laut Uni eine der Teilnehmerinnen erkrankt ist. Ein neuer Termin steht noch nicht fest.

Prof. Tönsmeyer, können Sie uns die drei Gäste kurz vorstellen, die am 21. November mit Ihnen auf dem Podium sitzen werden?

Tönsmeyer: „Wir werden zwei sehr namhafte Historikerinnen und eine Politikerin zu Gast haben. Die erste ist Prof. Dr. Gelinada Grinchenko. Sie kommt von der Universität Charkiv im Osten der Ukraine. Derzeit lehrt und forscht sie als geflüchtete Gast-Wissenschaftlerin an der Bergischen Universität und ist ausgewiesene Expertin für die Geschichte des Zweiten Weltkriegs in der Ukraine.

Außerdem dürfen wir an diesem Abend Prof. Dr. Irina Sherbakova begrüßen. Sie ist Germanistin, Historikerin und im vergangenen Jahr als Mitbegründerin der Menschenrechtsorganisation ,Memorial‘ mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Komplettiert wird die Runde von Dr. Marie Strack-Zimmermann, Mitglied des Deutschen Bundestages und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses.“

Seit dem russischen Angriffskrieg mussten viele Veranstaltungen, an denen ukrainische und russische Gäste teilnehmen sollen, abgesagt werden. Wie ist es Ihnen gelungen, dieses Podium für Wuppertal zu gewinnen?

Tönsmeyer: „Tatsächlich ist es so, dass das ukrainisch-russische Gespräch derzeit fast vollständig zum Erliegen gekommen ist. Unser großer Dank gebührt daher Prof. Grinchenko, dass sie sich zur Teilnahme an dieser Veranstaltung bereit erklärt hat. Ich glaube, ihre Bereitschaft rührt auch daher, dass wir mit Irina Sherbakova eine Gesprächspartnerin für das Podium gewonnen haben, die langjährige Menschenrechtsaktivistin ist und selbst als Kritikerin der russischen Regierung ins Exil gehen musste, um nicht verhaftet zu werden.

Darüber hinaus sind beide seit einigen Jahren in ein Forschungsprojekt eingebunden, das wir hier an der Bergischen Universität Wuppertal gemeinsam realisieren. Ich freue mich außerdem sehr, dass wir als dritte Gesprächspartnerin eine der profiliertesten Verteidigungspolitikerinnen gewinnen konnten, sodass ich glaube, dass wir ein wirklich spannendes Podium auf die Bühne bringen werden.“

Wuppertal ist ja einer der Orte in der Bundesrepublik, der für seine historische Besatzungsforschung bekannt ist: Worüber reden wir, wenn wir heute über Besatzung reden?

Tönsmeyer: „Das erste, was man sich klarmachen muss, wenn wir heute über russisch besetzte Territorien in der Ukraine reden, ist, dass dies etwa 17 Prozent des Gebiets der Ukraine betrifft. Im Vergleich – 17 Prozent der Bundesrepublik entsprechen etwa der Fläche der Bundesländer Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Saarland.

Aber natürlich geht es nicht nur um die territoriale Größe. Wenn wir heute über Besatzung reden, müssen wir auch über Besatzungsverbrechen reden. Wir reden außerdem über viele Menschen, die von der russischen Besatzung betroffen und grundsätzlich gefährdet sind, Opfer von Verbrechen zu werden, darunter zahlreiche Kinder und Jugendliche.“

Sie haben die historische Besatzung über lange Jahre in einem internationalen Forschungsverbund hier an der Universität erforscht. Wenn man bedenkt, dass große Teile Europas, darunter auch die Ukraine, in den Jahren des Zweiten Weltkriegs deutsch besetzt waren, ist es dann nicht erstaunlich, dass es in der Bundesrepublik so wenig Wissen über Besatzung gibt?

Tönsmeyer: „Dieses Phänomen lässt sich damit erklären, dass den Deutschen hier die persönliche Erfahrung fehlt. Im Zweiten Weltkrieg sind Millionen von deutschen Männern einberufen worden, haben an den Fronten gestanden, viele sind gefallen. Krieg ist oder war eine zentrale deutsche Erfahrung – sowohl bei denen, die in den Krieg zogen, als auch bei den Daheimgebliebenen, die in Sorge um ihre Verwandten waren. In den ehemals besetzten Ländern ist das anders.

In vielen dieser Gebiete haben die eigentlichen Kampfhandlungen eher kurz gedauert – in Polen beispielsweise wurde rund zwei Monate gekämpft, die Besatzung im Anschluss dauerte aber sechs Jahre. Das heißt, die Erfahrung in vielen unserer europäischen Nachbarländer ist eine andere. Der Krieg war kurz und die Besetzung war lang. Das gilt besonders auch für die Ukraine, wo das Thema Besatzung im Schulunterricht besprochen wird. Das Wissen darüber ist dort – natürlich auch durch persönliche Berührungspunkte zum Beispiel durch Familienerzählungen – deutlich ausgeprägter.“

Zum Abschluss möchten wir Sie als Historikerin fragen: Was können wir aus der Vergangenheit lernen, bzw. wofür könnte uns historisches Wissen sensibilisieren?

Tönsmeyer: „Historisches Wissen kann uns für ganz unterschiedliche Zusammenhänge sensibilisieren. In der gegenwärtigen Situation zum Beispiel dafür, dass Leid und Sterben der Zivilbevölkerung mit der Besatzung nicht aufhören. Denken wir zum Beispiel an den Zweiten Weltkrieg: Die deutsche Besatzung Europas war insbesondere in Osteuropa enorm gewalttätig. Eine sehr hohe Zahl der Opfer in diesen Ländern sind Besatzungsopfer, keine Opfer des unmittelbaren Kriegsgeschehens.

Besatzung ist eine hochgradig asymmetrische Situation: Bewaffnete Besatzer auf der einen Seite, ausgestattet mit vielen Rechten und eine unbewaffnete Zivilbevölkerung auf der anderen Seite, die vielfach vor allem aus Frauen, Kindern und Alten besteht. Diese sind den Besatzern ausgeliefert, das heißt die Gefährdungslagen, die sich daraus ergeben, sind vielfältig und greifen in den Alltag der Menschen massiv ein.

All das widerspricht der allgemeinen Vorstellung davon, dass das Leid mit dem Ende des Krieges aufhört. Das ist, insbesondere, wenn man es mit Besatzern wie NS-Deutschland zu tun hat, nicht der Fall.“