Nach dem Ende der „Ampel“ Anja Liebert (Grüne): „Wir sind wirklich startklar“

Wuppertal / Berlin · Wie haben die drei Wuppertaler Bundestagsabgeordneten aus den Regierungsparteien das Zerbrechen der Bundesregierung in Berlin erlebt? Die Rundschau-Redakteure Roderich Trapp und Stefan Seitz haben nachgefragt: Folge 2: Anja Liebert (Grüne).

Anja Liebert.

Foto: Christoph Petersen

Rundschau: Wenn Sie heute auf die „Ampel“ schauen, was wäre dann Ihre Zusammenfassung?

Liebert: „Im Grunde war allen klar, dass es keine Liebesheirat gewesen ist. Anfangs gab es einen großen Zukunfts-Spirit. Doch dieser Spirit ist leider nicht von Dauer gewesen. Ich kann jedenfalls sagen, dass wir Grünen bis zuletzt für den Weiterbestand der Koalition gekämpft haben. Schon allein, weil es für wichtige Gesetze und Projekte, die auf den Weg gebracht werden müssen, Planungssicherheit braucht.

Ich nenne nur das Deutschlandticket, die Verlängerung der Mietpreisbremse, das Thema der Verhinderung von Kürzungen im Sozialbereich. Da müssen wir jetzt feilschen, wie wir das, und vieles andere, noch hinbekommen. Bei vielem anderen, etwa in den Bereichen Bauen und Mobilität, muss man nun sagen: Das kommt jetzt halt nicht. Da wird eine Hängepartie von etwa einem halben Jahr unvermeidbar sein.“

Rundschau: Können Sie eine Ursache für das Scheitern der Dreier-Konstellation benennen?

Liebert: „Die FDP hat immer mehr eskaliert. Obwohl ich andererseits die konkrete Sacharbeit stets als konstruktiv empfunden habe. Aber es war schon deutlich, dass die FDP um ihre Existenz kämpft, sich unbedingt profilieren musste, und dann in den Komplettausstieg geflohen ist. Ob sie sich damit einen Gefallen getan hat, das weiß nicht. Und auch in der SPD brodelt es ja. Das sieht man an der Debatte über den Kanzlerkandidaten.“

Rundschau: Und die Grünen stehen ganz unbeschädigt da?

Liebert: „Wir werden ja immer als zerstrittener Haufen wahrgenommen und in den Medien auch gerne so beschrieben. Dabei haben wir gerade jetzt einen großen, erfolgreichen Parteitag hingelegt. Wir sind wirklich startklar. Mit Robert Habeck als Kanzlerkandidat, mit Anna-Lena Baerbock, mit einer neuen Parteiführung. Und seit dem 6. November, dem Tag des „Ampel“-Aus, verzeichnen wir, quer durch alle Altersgruppen, einen sehr großen Neumitglieder-Zuwachs.

Interessant finde ich, was man erfährt, wenn man mit diesen neuen Mitgliedern ins Gespräch kommt: Es werden nicht etwa spezifische Projekte oder Ähnliches genannt, sondern die Menschen sagen, dass es ihnen um die Stärkung der Demokratie geht. Das finde ich bemerkenswert. Für mich bedeutet das: Die Menschen haben Lust auf Demokratie.

Das ,Ampel’-Aus war vielleicht genau dafür ein Signal. Und wenn man einmal unser Bundestagswahlergebnis vom letzten Mal, das waren 14 Prozent, mit den aktuellen Prognosen, die von elf Prozent sprechen, vergleicht, kann ich mit Fug und Recht sagen: Wir Grünen sind nicht abgestürzt.“

Rundschau: Sie haben Robert Habeck als Grünen-Kanzlerkandidaten genannt. Er stand und steht ja nun, Stichwort Heizungsgesetz, in ziemlich heftigem Gegenwind ...

Liebert: „Die Berichterstattung über das Heizungsgesetz war in der Tat ein Riesendesaster, das nicht mehr einzufangen gewesen ist. Und vielleicht wird eines Tages ans Licht kommen, wer den damals unfertigen Gesetzentwurf an die Medien durchgestochen hat. Auch der Koalitionspartner FDP hat dieses Thema dann total eskaliert.

Dabei sollte allen klar sein: Der Gebäudebestand ist für 40 Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich. Darum ist ein zukunftsorientiertes Gebäude-Energiegesetz sehr, sehr wichtig. Vor allem in diesem Zusammenhang macht gerade Robert Habeck mit emotionaler Transparenz sichtbar, wofür wir Grünen stehen. Darum kommt er auch sehr gut an.“

Rundschau: Die politische Atmosphäre ist sehr aggressiv geworden. Fördert das Scheitern der Koalition diese Stimmung?

Liebert: „Nicht auszuschließen. Ich mache mir um das Diskussionsklima in Deutschland größte Sorgen. Warum vertrauen so viele Menschen aktuell vermeintlich ganz einfachen Lösungen? Und warum wird die Aggressivitätsschwelle so oft überschritten? An Wahlkampfständen habe ich da schon Schlimmes erlebt.“

Rundschau: Was lässt sich aus den Erfahrungen der „Ampel“ lernen?

Liebert: „Die Politik darf sich nicht so weit von den Sachthemen, die Auswirkungen auf das Leben aller Menschen haben, entfernen, dass keine Kompromissfindung mehr möglich ist. Es muss auch darum gehen, Antworten auf die Frage zu finden, was wir mit den Positionen rechter Parteien machen. Sich ihnen anzubiedern, nützt jedenfalls nichts.

Ich habe aus der ,Ampel’ die Lehre gezogen, dass die Menschen mehr beteiligt werden müssen. Und dass es um die Stärkung des sozialen Zusammenhaltes gehen muss. All das sind, zusammen mit dem Klimaschutz, der ja nicht von der Tagesordnung verschwinden wird, echte Kernthemen der Grünen.“