Schwere Vorwürfe gegen Intendantin Binder: Wahrheit oder Kampagne?

Wuppertal · Dieser Text setzt sich aus zwei Artikeln zusammen, die beide am Samstag (7. Juli 2018) in der Wuppertaler Rundschau erschienen sind.

Adolphe Binder.

Foto: Claudia Kempf

Tanztheater: Adolphe Binder unter Beschuss

Die Intendantin und künstlerischen Leiterin des Wuppertaler Tanztheaters, Adolphe Binder, steht offenbar schwer in der Kritik. Nach Rundschau-Informationen hat am Mittwoch (5. Juli 2018) der Beirat des Tanztheaters Wuppertal getagt, um über eine weitere Zusammenarbeit mit Binder zu befinden. Die Entscheidung wurde jedoch verschoben.

Binders Vertrag ist eigentlich befristet bis 2022. Aus gut informierten Kreisen heißt es, das Tischtuch zwischen Binder und der Geschäftsführung des Tanztheaters sei komplett zerschnitten. Der Rundschau liegt eine Auflistung sämtlicher Vorwürfe vor, um die es auch in der Beiratssitzung gegangen sein soll: Binder habe demnach unter anderem ihre Aufgaben als Intendantin nicht wahrgenommen, immer wieder eigenmächtig gehandelt.

Auch ihr Verhalten gegenüber den Mitarbeitern wird darin mehrfach scharf kritisiert. Außerdem soll Binder die Firmenkreditkarte unerlaubt benutzt haben, eine Privatperson gegen die Weisung der Geschäftsführung und auf Kosten von Tanztheater und Gastspielpartner mit nach London genommen und sich an anderer Stelle eigenmächtig Urlaub verschafft haben, um die Asienreise der Compagnie im März dieses Jahres für sich um eine Woche zu verlängern. Auch von fünf Abmahnungen ist darin die Rede.

Wie die Rundschau erfuhr, sei die Zusammenarbeit mit Frau Binder von Anfang an problematisch gewesen. Eine Mediation Ende des vergangenen Jahres sei gescheitert, heißt es. Aus dem Beirat, so ist zu hören, kommen Beschwerden, dass man von den Vorwürfen und dem "zerrütteten Verhältnis" zwischen Adolphe Binder und der Geschäftsführung erst vor zwei Wochen erfahren habe. Zudem habe man bis jetzt keine Einsicht in entscheidende Papiere erhalten. Eine so schwerwiegende Entscheidung wolle man jetzt nicht übereilt treffen.

Auf Rundschau-Nachfrage zeigte sich Adolphe Binder überrascht von den Vorwürfen gegen sie, wollte aber nicht weiter dazu Stellung nehmen; das Ensemble selbst gastiert derzeit in Paris.

Die Nachricht kommt zu einem äußerst irritierenden Zeitpunkt. Gerade erst hatte das Wuppertaler Tanztheater mit zwei neuen Werken von zwei Gastchoreografen (Dimitris Papaioannou und Alan Lucien Øyen) neun Jahre nach dem Tod von Pina Bausch erste Schritte Richtung Zukunft gewagt. Die Choreografen hatte Adolphe Binder ausgewählt und eingeladen. Doch über die kommende Spielzeit gibt es so kurz vor der Sommerpause bis jetzt noch keinerlei Infos. Es heißt, einen dezidierten Spielplan gebe es noch nicht, weil es auch darüber heftige Auseinandersetzungen zwischen der Künstlerischen Leiterin Adolphe Binder und dem Geschäftsführer Dirk Hesse geben soll. Hesse ist formal Binders Vorgesetzter, er trifft somit die letzte Entscheidung.

Binder ist erst seit dem 1. Mai 2017 in Wuppertal angestellt. Bereits an ihrem vorigen Arbeitsplatz — sie war Künstlerische Direktorin der GöteborgOperans Danskompani — hatte es am Ende Gerüchte um Mobbing und Günstlingswirtschaft gegeben. Binder hatte dies stets abgestritten, auch das Ensemble hatte die Vorwürfe auf Nachfragen nicht bestätigt. Von der Oper selbst hieß es damals, es habe Rangeleien um Führungsfragen gegeben, Binder habe aber exzellente Arbeit geleistet. Aus dem Vertrag sei sie seinerzeit früher ausgestiegen, um sich auf die neue Arbeit in Wuppertal vorzubereiten.

Während am Donnerstag verschiedene Medien bereits über die Kritik an Adolphe Binder und deren mögliche Kündigung berichteten, wurde das Ensemble in Paris eiskalt von dieser Nachricht überrascht. Niemand hatte zuvor mit den Tänzerinnen und Tänzern gesprochen. Sie distanzieren sich nun gegenüber der Rundschau gegen die Art um Weise, wie über Binder berichtet wird.

Ensemble-Mitglied: "Das ist eine einzige Inszenierung!"

"Wir Tänzer sind entsetzt, wussten von nichts und leiden. Das hat nichts mit uns Tänzern zu tun und es werden Dinge behauptet, die haltlos sind und scheinbar absichtlich Rufmord bedeuten. Mit uns Tänzern wurde nichts beredet und trotzdem wird in unserem Namen gesprochen. Im Gegenteil. Seit langer Zeit wurde ein Gespräch mit uns gemieden." Diese emotionalen Zeilen erreichten die Redaktion am späten Donnerstagabend. Verfasst von Michael Strecker, seit über 20 Jahren Mitglied des Ensembles.

Das nicht mehr ganz vollständige Ensemble — es ist das letzte Stück einer erfolgreichen Spielzeit — befindet sich derzeit für ein längeres Gastspiel in Paris und fühlt sich dort nun "komplett allein gelassen". Das Timing sei "grausam", so Strecker. Er spreche im Folgenden vor allem für sich persönlich.

Im Gespräch mit der Rundschau schildert er, dass man im Ensemble schon länger gespürt habe, dass es massive Probleme zwischen der Geschäftsführung und Adolphe Binder gegeben hat. Erst vor wenigen Wochen habe man daher ein Gespräch mit beiden eingefordert. Binder sei dazu sofort bereit gewesen, heißt es. Dirk Hesse, der Geschäftsführer des Tanztheaters, war zu diesem Zeitpunkt bereits krank geschrieben.

Der Prokurist Christoph Fries habe dem Gespräch erst zugestimmt, sei dann jedoch nicht erschienen. Er habe keine Erlaubnis dazu, hieß es. Statt dessen habe es ein Gesprächsangebot des Kulturdezernenten Matthias Nocke gegeben, berichtet Michael Strecker. "Klartext wurde da aber nicht gesprochen."

Größter Kritikpunkt: die fehlende Transparenz und Kommunikation. "Wenn es Probleme gab, warum hat man uns nicht davon erzählt und uns nach unseren Erfahrungen mit Frau Binder gefragt?", gibt er zu bedenken. "Warum hat man die Vorwürfe nicht in Ruhe untersucht, statt nun solche Anschuldigungen in der Öffentlichkeit breitzutreten und uns vor fast vollendete Tatsachen zu stellen?"

Auch die Mediation habe auf manche Tänzer irritierend gewirkt. Statt neutral auf die Sorgen und Gedanken aus dem Ensemble zu reagieren, habe die Mediatorin Dirk Hesse ausdrücklich in Schutz genommen. Im Fall des Vorwurfs, Frau Binder habe zum Gastspiel eine "unerlaubte Privatperson" auf Kosten von Tanztheater und Gastspielpartner eingeladen, erklärt Strecker: "Dabei handelte es sich um eine Mitarbeiterin, die viele Jahre das Tanztheater hinter der Bühne begleitet hat. Frau Binder hat sie daraufhin bei ihrem Abschied nach ihrer letzten Vorstellung in unserem Beisein — als Geschenk für ihren Ruhestand — eingeladen, sich ,Viktor' in London endlich einmal von vorne anzusehen. Wir fanden das eine sehr schöne Geste. Was jetzt daraus gemacht wird, ist so gemein und eine einzige Inszenierung!"

Zu den Vorwürfen, Adolphe Binder habe bei der Spielplangestaltung 2018/19 einerseits Stücke ausgewählt, die schon zu oft gespielt wurden und daher nicht attraktiv seien, und andere, für die es keine passenden Tänzer gebe, gibt es aus der Tänzerschaft eine ausdrücklich andere Meinung. "Manchmal gibt es einfach künstlerische Zwänge, Stücke nach kurzer Zeit wieder aufzunehmen. Den Spielplan hat Frau Binder zusammen mit unserem Repertoire-Team, Probenleitern und technischen Abteilungen erarbeitet."

Zu diesem Team gehören Nazareth Panadero, Helena Pikon, Julie Shanahan, Daphnis Kokkinos und Ruth Amarante. Sie haben bereits in den vergangenen beiden Spielzeiten mitgewirkt. "Sowas kann doch nicht von einer Verwaltung allein ermessen werden und sollte im gemeinsamen Gespräch gelöst werden."

Über die Motivation, Binder in dieser Form loswerden zu wollen, kann man auch unter den Tänzern nur spekulieren. "Sie wurde zu uns geholt, damit etwas Neues stattfindet. Vielleicht war es vielen dann doch zu neu."