Nach Toreschluss - die Wochenendsatire Vergleichende Ethnologie

Wuppertal · Rundschau-Kolumnist Roderich Trapp macht Pause. Damit Sie trotzdem was zu Lachen haben, gibt‘s heute einen Beitrag aus seinem Buch „LANGE NACH TORESCHLUSS“ mit den besten Glossen der verganenen Jahrzehnte, mit dem Sie sich auf ihren möglicherweise bevorstehenden Pauschalurlaub einstimmen können.

Roderich Trapp.

Foto: Max Höllwarth

Ich kenne da ein junges Mädchen, das studiert europäische Ethnologie in Berlin. Lange dachte ich, dass es dabei wohl irgendwie um Vulkane gehen muss. Dann ließ ich mich aber dahingehend belehren, dass sich das Fach mit der vergleichenden Betrachtung der Alltagskulturen in modernen europäischen Volksgemeinschaften beschäftigt. Am Strand in Spanien habe ich so gesehen jetzt auch europäische Ethnologie studiert.

Der Deutsche an sich ist ja eher überrascht, wenn er im Urlaub feststellt, dass auch andere Europäer Ferien haben und bei dieser Gelegenheit ans Meer fahren. In Spanien tun das im August beispielsweise auch die Spanier selbst. Und das in für den deutschen Touristen befremdlich großer Anzahl und imponierenden Familienverbänden, die in der Größe Bundeswehrdivisionen nicht unähnlich sind. Ein Schock für Touristen aus Deutschland, die mehrheitlich davon ausgehen, dass Ureinwohner ihrer Reisedestinationen ausschließlich am Straßenrand sitzen und mundgeschnitzte Holzpüppchen und Sombreros als Souvenir verkaufen. Insofern habe ich mal höchst interessiert verglichen, wie sich die beiden ethnologischen Gruppen in Andalusien im Pauschalurlaub verhalten.

Der Tagesablauf des deutschen Touristen ist Ihnen möglicherweise geläufig. Er steht um 6 Uhr morgens auf, um große Mengen Handtücher auf möglichst viele Liegen am Pool zu drapieren, auf denen er möglicherweise am späteren Nachmittag mal zehn Minuten ruhen möchte. Das führt dazu, dass spätestens um 10 Uhr niemand mehr eine freie Liege findet, obwohl eigentlich alle leer sind. Der Deutsche baut damit eine Art touristischen Atlantikwall, der ähnlich wie vor 70 Jahren nicht unbedingt zu internationaler Beliebtheit führt.

Nach Liegenreservierung und zügiger Frühstückseinnahme geht der Deutsche mit schwerem Gepäck an den Strand und bläst dort große Mengen Gummitiere, Luftmatratzen, Schwimmflügel und Nackenstützen auf. Wenn der Familienvorstand wieder zu Atem gekommen ist, errichtet er gemeinsam mit den Kindern in der Mittagshitze Sandbauten mit den Originalabmessungen von Schloss Burg. Den Sonnenbrand komplettiert er anschließend, indem er mit anderen Gästen, die das auch nicht können, so tut, als würde er Volleyball spielen. Dabei freut er sich die ganze Zeit aufs Abendessen.

Selbiges nimmt der Deutsche auch im Sommerurlaub unmittelbar nach der Öffnung des Halbpensions-Speisesaals zu sich, weil er aus den Nachkriegsjahren noch eine genetisch bedingte Restskepsis dahingehend mitbringt, dass das Essen nicht ausreichen könnte. Deshalb ist er auch schon gegen 19 Uhr satt und wartet dick und erschöpft auf das abendliche Hotel-Unterhaltungsprogramm, bei dem Sänger ohne störende musikalische Vorbildung in falschem Englisch Hits zur Hammond-Orgel vortragen.

Ganz anders die spanische Familie. Sie kommt relativ entspannt kurz nach Ende der offiziellen Öffnungszeit zum Frühstück, in dessen Anschluss der Familienvorstand sechs Sportzeitungen liest und die anderen Beteiligten umfangreich den Strandgang vorbereiten. Der erfolgt dann unter Mitnahme speziell für das bodennahe Sitzen am Strand konzipierter Klappstühle, auf denen der Spanier allerdings nur sehr kurz Platz nimmt, weil er unmittelbar nach seinem Eintreffen am Gestade schon wieder zum traditionell in Südeuropa besonders wichtigen Mittagessen muss. Nach dessen Einnahme begibt man sich unmittelbar zur Siesta, die exakt so lange dauert, bis die Deutschen mit Sonnenbrand den Strand räumen. Der ist damit frei für die Spanier, die sich dort zur zweiten Sand-Einheit versammeln, bis es dunkel wird. Beide Volksgruppen treffen sich erst wieder, wenn der Deutsche die Liegen reservieren geht und die Spanier gerade vom Abendessen kommen …

Der Vergleich zeigt: Insgesamt hat die Ethnologie das ausgezeichnet eingerichtet, weil sich die Gruppen durch die unterschiedlichen Tagesabläufe kaum in die Quere kommen. Offen bleibt eigentlich nur die Frage, wann sich die Deutschen genau genommen erholen und was die Spanier wohl die ganze Zeit machen, in der man sie nicht sieht. Da könnte doch bestimmt mal jemand eine Doktorarbeit drüber schreiben.

Bis die Tage!