Nach Toreschluss - die Wochenendsatire Bahnhofsbummel 2009

Wuppertal · Liebe Leserinnen und Leser, ich habe zwar gerade frei, bin aber trotzdem nicht ganz weg, weil ich Ihnen zur Überbrückung ja mein neues Buch „LANGE NACH TORESCHLUSS“ mit den besten Glossen von 2006 bis heute dagelassen habe. Hier ein kleines Appetithäppchen daraus, in dem wir eine Zeitreise ins Jahr 2009 und dann einen Bummel durch den Wuppertaler Hauptbahnhof in seinem damaligen Zustand machen. Danach wird es Ihnen gar nichts mehr ausmachen, dass es in unsere neue Bahnhofshalle ab und zu mal reinregnet ...

Roderich Trapp.

Foto: Max Höllwarth

Da lese ich doch neulich auf der Homepage der Deutschen Bahn AG: „Bahnhöfe sind mehr als Orte zum Ein- und Aussteigen. Zahlreiche Geschäfte und Gastronomieangebote laden zum Bummeln und Schlemmen ein.“ Wenn man so nett eingeladen wird, kann man ja nicht nein sagen. Deshalb gehe ich jetzt einfach mal zum Bummeln und Schlemmen in den Wuppertaler Hauptbahnhof. Kommen Sie doch mit – und wo Sie schon dabei sind, legen Sie zunächst freundlicherweise die zwei Euro aus, die wir für eine Stunde Komfort-Parken zwischen den Schlaglöchern auf dem Bahnhofsvorplatz bezahlen müssen ...

Jetzt aber nichts wie rein in die gute Bahnhofsstube! Durch Glasflügeltüren, die Mitglied im Blindenverein sind, gelangen wir in die Bahnhofshalle und beginnen nun unmittelbar mit dem Bummel. Dabei haben wir auf dieser Etage die Qual der Wahl – nämlich zwischen „Ihr Platz“ und einem Blumengeschäft, dessen Fenster zuletzt von der Reichsreinigungskolonne geputzt wurden. Da kann man sich kaum entscheiden, zumal auch noch ein Süßigkeiten- und ein Passfotoautomat mit Einwurfschlitz für vor zehn Jahren aus dem Verkehr gezogene Zwei-Mark-Münzen um unsere Aufmerksamkeit buhlen.

Zum Glück ist es in Sachen Gastronomie etwas unkomplizierter: In der Halle gibt es den kleinsten McDonald‘s der Welt und die außer Betrieb genommene Bahnhofskneipe, deren ehemaliger Eingang einladend schwarz verrammelt wurde. Gegenüber hängen übrigens die Fahrpläne, bei denen auffällt, dass es zahllose Abfahrtslisten, aber nur noch einen einzigen Ankunftplan gibt. Fast scheint es so, als wollten alle aus Wuppertal raus und kaum noch jemand rein.

Darüber können wir aber später noch nachdenken, denn jetzt wird es höchste Zeit für den Schlemmerbummel in der unteren Etage. Auf den Stufen parallel zur leider kaputten Rolltreppe helfen wir bei dieser Gelegenheit einer vor dem Kollaps stehenden Oma, ihren Überseekoffer Richtung Bahnsteig zu wuchten. Das hat den Vorteil, dass wir trotz der unappetitlichen Umgebung wenigstens richtig Hunger kriegen. Zur Verköstigung steht unten im wesentlichen Bäcker „Büsch“ zur Verfügung, der auf einem großen Aufsteller mit dem Foto eines kohlenstaubbedeckten Mannes für seine Brotsorte „Lintforter Bergmann – 1.000 Gramm Geschmack aus der Region“ wirbt.

Auf diese Weise mal wieder zu waschechten Ruhrpottbewohnern befördert, würden wir uns gerne nebenan in der Kellergaststätte „Bierfässchen“ betrinken, aber die ist zu. Ein Zettel am Eingang verrät, dass wir uns hier demnächst auf eine neue gastronomische Nutzung freuen dürfen. Der Umbau werde voraussichtlich im Frühjahr 2009 beginnen, weiter Einzelheiten könne man unter www.doeppersberg.de nachlesen. Dabei handelt es sich um die offizielle Website zum Großprojekt, auf der allerdings über die glänzende Zukunft des „Bierfässchens“ keine näheren Angaben gemacht werden.

Wir könnten jetzt noch für einen Euro mit der Modelleisenbahnanlage spielen, bei der leider der Personenzug entgleist ist und ein totes Reh im Gebüsch liegt, aber ein Blick auf die Uhr an der digitalen Abfahrtsanzeige zeigt, dass wir vor lauter Schlemmen und Bummeln offenbar die Zeit völlig aus den Augen verloren haben. Wir können ja nicht ahnen, dass dieses Teil neun Stunden vor geht ...

Kurzum: Ich kann jetzt den Besucher aus Amerika verstehen, der nach einem Zwischenstopp in Leipzig am Bahnhof in Wuppertal ankam, sich umsah und zu seinem deutschen Freund sagte: „Man merkt aber wirklich, dass der Westen so lange kommunistisch war ...“

Bis die Tage!

„LANGE NACH TORESCHLUSS“

Foto: Wuppertaler Rundschau

... mit den besten Glossen von Roderich Trapp ist auch während des Lockdowns weiterhin für 18,90 Euro in folgenden Buchhandlungen nach vorheriger Bestellung erhältlich: (Hardcover gebunden, 290 Seiten) hier erhältlich: Elberfeld: Thalia, Glücksbuchladen, Baedeker, v. Mackensen, Wuppertal Touristik; Barmen: Mayersche Buchhandung; Oberbarmen: Buchhandlung Schleu-Behle; Ronsdorf: Ronsdorfer Bücherstube; Vohwinkel: Buchhandlung Jürgensen; Cronenberg: Buchhandlung Nettesheim; Schwelm: Bücher Köndgen. Über die jeweiligen Abhol-Modalitäteh informieren Sie sich bitte bei der jeweiligen Buchhandlung. Außerdem ist „LANGE NACH TORESCHLUSS“ online unter www.shop.rp-online.de erhältlich, telefonisch unter 0202/27144 21 beim Rundschau-Verlag bestellbar und jetzt auch als E-Book (14,99 Euro) für Kindle und Tolino erhältlich.