Nach Toreschluss - die Wochenendsatire Ganz blöde Bötterkes
Wuppertal · Vorigen Montag sind Whatsapp, Instagram und Co. stundenlang ausgefallen. Für viele Wuppertaler Teenager war das eine Nahtoderfahrung. Ich wurde diese Woche allerdings durch einen ganz anderen Vorfall traumatisiert. Zur Erklärung muss ich etwas ausholen.
Quasi seit Jahrzehnten befinde ich mich in der privilegierten Situation, dass mir meine Frau morgens Butterbrote schmiert, die ich ins Büro mitnehme. Für eine emanzipierte Gattin ist das eine beispiellos großherzige Geste, die ich abends durch die Zubereitung mehrgängiger Menüs notdürftig zu kompensieren versuche. Zu diesen Butterbroten sagen wir in Wuppertal bekanntlich Bötterkes – ein Wort, das schon klanglich herzhaft schmeckt und vor Bodenständigkeit nur so strotzt. Passend dazu bestanden meine Bötterkes morgens bisher immer aus rustikalen Brotscheiben, bei deren Verzehr man den mehlbestäubten, rotwangigen Bäcker Biss für Biss förmlich auf dem Gaumen hatte. Belegt mit guter Butter und Wurst und ohne Schnickschnack ist diese morgendliche kulinarische Labung praktisch alternativlos.
Am Montag öffnete ich also wie gewohnt meine Bötterkesdose, nahm ohne groß hinzusehen eine Knifte raus und biss arglos rein. Daraufhin wurde mein Mund mit einer Art Mineralgemisch geflutet, wie ich es bisher nur als Füllmaterial aus dem Straßenbau kannte - ein echter Schock! Beim Kauen entwickelte sich eine mergelnde Geräuschkulisse, die im Raum anwesende Kollegen vermuten ließ, nebenan würden Fliesen mit dem Trennschleifer bearbeitet. Das Mundgefühl legte insgesamt nahe, dass ich es hier nicht mit meinem üblichen Bötterken, sondern mit dem Butterbrot gewordenen Versuch zu tun hatte, den Abtrag von Schotterpisten als Nahrungsmittel zu verarbeiten.
Ungläubig nahm ich außerdem wahr, wie sich nach dem Runterschlucken tausende mikroskopische Granulatsplitter in Zahnzwischenräumen festsetzten, von denen ich bisher gar nicht wusste, dass ich sie hatte. Während ich mit der Zunge grobe Reinigungsarbeiten verrichtete und davon einen mir bis dato ebenfalls unbekannten Zungenmuskelkater bekam, rief ich meine Frau an: „Wat hast du mir denn da für ein Bötterken gemacht“, fragte ich verstört. Antwort: „Das ist ein Chiasamen-Brot. Ich dachte, das wäre mal was anderes ...“
Nun haben Bäcker nicht umsonst jahrhundertelang an der Optimierung von Teigmischungen speziell auch im Hinblick auf ihre angenehme Verzehrbarkeit gearbeitet. Mit dem Ergebnis war ich bisher stets zufrieden. Deshalb stehe ich auch modernen Brotsorten kritisch gegenüber, bei denen gewaltige Körner mit der Konsistenz von Panzerplatten gar nicht mehr geteilt werden, auf dass der Mensch sie im Ganzen verschlucke und so wertvolle Ballaststoffe zu sich nehme. Dieses Prinzip hat sich bei Kanarienvögeln bewährt, bei mir aber weniger, weil ich noch auf dem altmodischen Standpunkt stehe, dass man in Bötterkes angstfrei reinbeißen können sollte, ohne dabei die Zahnfüllungen zu pulverisieren.
Beim Chiasamenbrot ist die Problemlage aber noch viel komplizierter: Hier entsteht schon nach dem ersten Bissen die Notwendigkeit, zum Zähneputzen den Hochdruckreiniger aus der Garage zu holen, um die unzähligen schwarzen Kleinskrömmel aus der Kauleiste zu kärchern. Noch Tage später lösten sich einige von ihnen unverhofft aus ihren Nischen und marodierten durch die Mundhöhle, die derweil unablässig die Laute „Nieee wieeeder!“ formte.
Im Internet steht übrigens, dass
Chiasamen die Energiequelle der Maya waren. Falls Sie sich immer schon gefragt haben, warum die so plötzlich ausgestorben sind, hätte ich da jetzt eine Idee ... Bis die Tage!
Falls Sie übrigens mal wieder vor die Tür möchten: Am Montag, 18. Oktober, lese ich um 18.30 Uhr im Rahmen der „LIT.Ronsdorf“ in der Scheidtstraße 52 aus dem Buch „LANGE NACH TORESCHLUSS“ . (Plätze begrenzt, Anmeldung unter Tel. 469 87 62 bei Monika Diehle)