Nach Toreschluss - die Wochenendsatire Bei euch piept‘s wohl!
Wuppertal · Weihnachten ist das Fest der Nächstenliebe. Da ich aber meine Nächsten im Prinzip alle schon liebe, habe ich beschlossen, die Liebe auf ein von mir bisher sträflich vernachlässigtes Segment des Tierreichs auszudehnen: einheimische Vogelarten.
Zu diesem Behufe erwarb ich rechtzeitig vor dem Fest und dem Lockdown im einschlägigen Handel ein spektakulär gestaltetes, rautenförmiges Vogelhäuschen, das ausweislich seines Designs durchaus von Architektur-Koryphäen wie Frank Gehry oder Norman Foster entworfen worden sein könnte. Es war so schick, dass ich sogar kurzzeitig erwog, auf Däumlingsgröße zu schrumpfen und selbst einzuziehen.
Dann hätte ich es aber nicht mehr mit Körnern befüllen können, weil es seinen Platz bereits ziemlich hoch in einem Baum unseres Gartens gefunden hatte. Ich musste mich also ziemlich strecken, um eine beträchtliche Menge Wintermischfutter im Schöner-Wohnen-Ambiente für gefiederte Nutzer zu applizieren. Die artgerechte Nahrung für Weich- und Hartschnäbler bestand aus Saaten und Getreiden, die mit Blick auf den Preis unzweifelhaft von weltweit führenden Veterinärwissenschaftlern handgeschrotet wurden. Eine Art Kaviar für Vögel also, aber zu Weihnachten will man ja auch nicht knausern.
Zufrieden mit den umfangreichen ornithologischen Vorarbeiten setzte ich mich aufs Sofa, guckte aus dem Fenster und wartete darauf, dass unsere gefiederten Freunde wie auf der Futterverpackung beschrieben ihre Körnchen zur Stärkung der Kräfte in der kalten Jahreszeit aufpicken. Ich gefiel mir bei den Gedanken, nunmehr eine kleinräumige Wuppertaler Tafel für Spatz und Meise eingerichtet zu haben und dachte gleichzeitig daran, dass ich als Großstadtkind doch herzlich wenig über die Vogelwelt weiß. Zuletzt hatte ich bewussten Kontakt mit ihr, als mein Sohn vor 20 Jahren ein Referat über Amseln schreiben musste.
Das würde sich aber angesichts des in wenigen Augenblicken einsetzenden Flugverkehrs vor dem Häuschen unzweifelhaft ändern. Bis dahin suchte ich im Internet noch schnell nach Bildern einschlägiger heimischer Vogelarten, um die Piepmätze im bevorstehenden Getümmel korrekt identifizieren zu können. Und ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass ich kurze, von Blaumeise oder Gimpel in ungelenker Krallen-Krakelschrift verfasste Dankschreiben mittelfristig durchaus angemessen gefunden hätte. Leider kam aber gar kein Vogel.
„Das muss sich doch erstmal herumsprechen“, beruhigte mich meine Frau. Drei Stunden später erwog ich, neben das Häuschen eine Speisekarte mit blumiger Beschreibung der im Futter enthaltenen Körnerspezialitäten zu hängen. Außerdem googelte ich, ob es vielleicht eine Vogel-Rundschau mit der Rubrik „Hier schmeckt‘s mir“ gibt, in der man das Angebot bekannt machen könnte. Als es dunkel wurde, strahlte ich das Vogelhäuschen noch eine ganze Weile mit der Taschenlampe an, weil ja nicht auszuschließen ist, dass die Tiere nicht anders als wir Menschen Hauptmahlzeiten tendenziell eher abends als nachmittags einnehmen. Mit vollem Magen kann man ja auch nicht so gut fliegen. Es kam aber trotzdem keiner.
Ein bisschen beleidigt ging ich ins Bett und wachte morgens mit dem Gedanken auf, aus Rache an Weihnachten Wachtelbrüstchen zu servieren. Dann aber erblickte ich das Wunder: Mindestens fünf possierliche Vögelchen mit rötlicher Brustfärbung tummelten sich rund um das Häuschen und pickten beseelt ins all-you-can-eat-Körnerbüffet.
Ich stellte also den familiären Weihnachts-Speiseplan gedanklich wieder auf vegetarische Varianten um und machte mich beseelt und voll warmer Mitgeschöpflichkeitsgefühle auf den Weg zur Arbeit. Vor der Haustür stutzte ich aber beim Blick auf das Dach unseres Autos: Darauf perlte gerade der größte Vogelschiss aller Zeiten in sämtliche Richtungen ab. Die eher ins graubraune spielende Farbe und die enorme Ausbreitung der sämigen Luftbombe zeugte unzweifelhaft von der besonders ballaststoffreichen Kost, die der Absender zuvor genossen haben muss. Undank ist der Welten Lohn ...
Bis die Tage!