Aus dem Tagebuch der Redaktion Analysen — anonym und öffentlich
Wuppertal · Die Landtagswahl ist vorbei. Einer unserer Leser, Stefan W. aus Wichlinghausen, der der Redaktion seine Daten nannte, sie aber (zum Beispiel aus beruflichen Gründen) nicht öffentlich machen möchte, richtete in einem langen Brief den Blick auf die im Osten der Stadt sehr hohen Zahlen für AfD & Co.
10 Prozent, 12,4 Prozent, einzelne Stimmbezirke mit 13 bis 15 Prozent. Zusammen mit NPD, Die Rechte und den Republikanern errechnet unser Leser 16 bis über 19 Prozent Stimmenanteil für Rechtsgerichtete.
Auch darüber, was Wuppertals Osten zum "Problemfall" hat werden lassen, hat sich Stefan W. Gedanken gemacht. Er schreibt: "Es interessiert sich niemand dafür, dass die Menschen im Osten Wuppertals abgehängt sind. In Wichlinghausen und Oberbarmen leben über 70 Prozent der unter 25-Jährigen von Hartz IV, bei den älteren Jahrgängen sind es immerhin noch mindestens 30 bis 35 Prozent. In Vohwinkel und Heckinghausen sieht es auch nicht paradiesischer aus. Aber anstatt dass die Politik handelt, wird beschönigt, bestenfalls medienwirksam hier und da plakativ gehandelt. Der Sozialabbau geht währenddessen ungebremst weiter, als wären die grassierende Armut, die langen Schlangen vor der Tafel am Kleinen Werth Halluzinationen." Klingt nicht gut...
Jemand, der sich ähnliche Gedanken macht, ist der an der Bergischen Uni lehrende, bundesweit bekannte Politikwissenschaftler Professor Hans. J. Lietzmann. Er hat kein Problem damit (muss er auch nicht haben), in der Öffentlichkeit zu stehen. Lietzmann war unter dem Motto NRW-Wahlnachlese am Montag vorvergangener Woche zu Gast in der Politischen Runde der VHS, blickte ebenfalls auf den Osten der Stadt, wo die Gefahr im Raum stehe, dass bestimmte Bereiche verloren gehen. Was tun?
Der SPD schrieb Lietzmann ins Stammbuch, sie müsse "mehr in die Stadt schauen, als sich mit den Auseinandersetzungen zwischen Fraktion und Oberbürgermeister, siehe Dezernent Paschalis, zu beschäftigen."
Und für die problematischen Stadtbezirke gab der Wissenschaftler zu Protokoll, dass wohl nur noch "aufsuchende Bürgerbeteiligung" helfen kann, die zurückzugewinnen, die glauben, es interessiere sich keiner mehr für sie. "Aufsuchende Bürgerbeteiligung" ist ungefähr das, was im Sport "Dahin gehen, wo‘s weh tut" heißt. Nicht von draußen klug klingende Sozial- oder Anti-Rechts-Projekte erfinden und sich wundern, dass nur die immer schon Interessierten mitmachen. Sondern reingehen in die Bezirke, nachfragen, reden, diskutieren, gemeinsam etwas entwickeln. Es gibt keine Garantie, dass das klappt. Professor Lietzmann betonte jedoch, er sehe "eigentlich nur noch diese Möglichkeit"…
Was man nie vergessen darf: Genau in dieser Zeit will man in Wuppertal den Dezernenten, der sich für moderne Bürgerbeteiligung leidenschaftlich engagiert, per vorzeitiger Abwahl vom Hof jagen. Liebes Tagebuch: Ich finde, das ist kein gutes Zeichen.