Ursula und Günther Weißenborn „Strizzys“ statt Marionetten
Wuppertal · Anderthalb Jahre nach dem Ende von Müllers Marionettentheater: ein Besuch bei den Unruheständlern Ursula und Günther Weißenborn.
Sie haben die Puppen tanzen lassen. Jahrzehntelang, und dann war plötzlich Schluss. Irgendwie doch erzwungen durch den Corona-Lockdown, obwohl Ursula und Günther Weißenborn damals schon im Blick hatten, wann bei „Müllers Marionetten-Theater“ der letzte Vorhang fallen sollte. Ein paar Monate später hätte es sein sollen: Im Sommer 2020, vielleicht auch zum Jahresende. Das mit dem Loslassen ist oft nicht so einfach, da wäre man doch ganz gerne derjenige, der die Fäden in der Hand hält.
Vor allem dann, wenn es das ist, was man beinahe 40 Jahre lang getan hat. Nicht nur, weil Marionetten erst durch die sanfte Führung ihrer Schöpfer wirken können. Sondern auch, weil man als freischaffender Künstler gerne selbst bestimmen würde, wann Schluss ist. Nun also hatte sich das Schlussstück irgendwie aufgedrängt und es bleiben Fragen: Wie beendet man eine Ära? Wie gelingt das Loslassen? Und kommt danach das „große schwarze Loch“?
Um sie all das zu fragen, haben wir die Weißenborns zu Hause besucht in ihrem Domizil, mit idyllischem Blick auf Wald, Wiesen und die historische Kirche in Schöller. Von dort aus hört man allabendlich die Sieben-Uhr-Glocke läuten. Sie ordnet nun auch den Tag von Ursula und Günther Weißenborn und kündigt zuverlässig Abende an, an denen sie früher nur selten daheim waren. Nun sitzen sie oft auf der Terrasse – morgens, mittags und abends. Auch an diesem Abend, an dem wir wissen wollen, wie das Leben weiterging nach dem abrupten Ende, das eigentlich keines war.
Auch beinahe ein Jahr später dreht sich vieles um das Marionetten-Theater und darum, was nach dem letzten Vorhang noch geregelt werden muss „Es ist alles auch eine Frage der Kraft“, spricht Ursula Weißenborn über die Gründe, warum sie und ihr Mann schon länger darüber nachgedacht hatten, wie ein gutes Ende aussehen könnte. Sie hätten „ihr Theater“ nicht totlaufen lassen und besenrein übergeben wollen. Stattdessen haben sie sich nach Leuten umgeschaut, die sie sich als Nachfolger hätten vorstellen können.
Mittlerweile sind Mona und Kris Köhler mit ihrem „4K/Theater für Menschlichkeit“ in die Räume am Neuenteich eingezogen. Man hatte sich gleich gut verstanden, das Konzept passte – und was beinahe noch wichtiger ist: Auch die Vermieter zogen mit bei der Idee, dass in ihrem Haus auch zukünftig Theater gespielt wird. Selbstverständlich ist so etwas nicht in Zeiten, in denen es vermutlich so einiges gegeben hätte, was mehr Geld aufs Mietkonto hätte fließen lassen.
Dass es so gekommen sei, mache den Abschied leichter, ist dazu von den Weißenborns zu hören. Inmitten der Plauderei auf ihrer Terrasse erinnern sie sich auch an das Hochwasser 2018, dass damals den Theater-Keller unter Wasser gesetzt hatte. Von vielen dort verstauten Puppen und Kulissen hatten sie sich damals schon trennen müssen. Die Erfahrung sei ein gefühlter Vorgriff auf das gewesen, was zwei Jahre später gefolgt sei. „Damals hat das Wasser die Entscheidung getroffen“, erinnert sich Günther Weißenborn, und jetzt sei es eben Corona gewesen.
Man kann sich gut vorstellen, dass es zuweilen ein Segen sein kann, zu solchen Entscheidungen sanft gedrängt zu werden. Es ist ja nicht nur das Ende einer Ära. Sondern auch der Beginn einer Zeit, von der man oft nicht weiß, ob sie einen nicht einen seelischen Abgrund blicken lässt.
Die Puppen sind jetzt im Tresor
Bei Ursula und Günther Weißenborn ist davon nichts zu spüren. Beide sind noch immer damit beschäftigt, die letzten Dinge mit sich bringt. Erst kürzlich hatte sich ein Hausbesitzer aus Solingen gemeldet, um den Weißenborns einen leerstehenden Kellerraum für die Einlagerung der „Bühnenstücke“ zu vermieten. Damit sind Puppen und Kulissen gemeint – vielleicht, so Günther Weißenborn, könne man die ja doch noch mal irgendwann zum Leben erwecken. Der Keller ist übrigens der ehemalige Tresorraum einer Sparkassen-Filiale, besser behütet kann man Marionetten wohl kaum unterbringen.
Stücke werden verfilmt
Und sonst? Langeweile? Mitnichten! Im Corona-Lockdown hatten Ursula und Günther Weißenborn eine Entscheidung getroffen: Eigentlich hätten sie nach der Theater-Zeit auf Weltreise gehen wollen. Man kennt so etwas von angehenden Pensionären, die auf den Ruhestand hinleben und Geld sparen, um sich dann endlich das gönnen zu können, wofür zuvor keine Zeit geblieben war. Die Weißenborns hingegen entschieden sich, eigentlich die große Reise in Blickweite, dann doch anders. Sie nahmen ihr Erspartes in die Hand, um einige ihrer Stücke verfilmen zu lassen.
Die kleine Meerjungfrau, Aladin mit seiner Wunderlampe: Ein letztes Mal durften am Neuenteich die Puppen tanzen. Entstanden sind wunderbare Filme, produziert hat sie Günther Weißenborn natürlich selbst. „Wir wollten nochmal etwas wagen, mit dem Blick nach vorn“, erinnert sich seine Frau an einen versöhnlichen Ausklang des gemeinsamen Lebenswerkes. Dass man die Filme nun kaufen könne, sei nicht zum „Reichwerden“ gedacht. Aber das etwas bleibt, dass sei schon schön.
Und wie geht es nun weiter im Leben des Künstlerpaares? Man braucht seinen Blick nicht weit schweifen zu lassen, um zu wissen: Genauso kreativ wie bislang auch. Ursula Weißenborn malt, und das sehr erfolgreich. Gerade hatte sie ihre „Strizzys“ ausgestellt – so werden pfiffige und gute Geister in ihrer Schweizer Heimat genannt. Geschaffen aus kubistischen Formen, Acryl auf Eiche und mit Schiffslack für die Ewigkeit konserviert. Mit poetischen Texten aus der Feder ihres Mannes versehen, der dazu noch weiter als Dramaturg arbeitet. Langeweile sieht anders aus ...