Leserbrief „Was gilt heute nicht als ‚künstlerisch’“?
Betr.: „Goldene“ Bänke, Rundschau-Kommentar
Sehr geehrter Herr Seitz, wer hat schon etwas gegen Gold? Außer vielleicht auf einem Steak. Andererseits: Wenn es doch nur Gold wäre, Wuppertal könnte es eher im Stadtsäckel als in der Fußgängerzone brauchen.
Neben dem positiven Faktum, dass mit den „goldenen" Bänken endlich mal überhaupt eine größere Anzahl nichtkommerzieller Sitzgelegenheiten den Aufenthalt in der Innenstadt etwas kommoder macht, ist sicherlich das größte Plus die indirekte abendliche Beleuchtung, da gebe ich Ihnen recht. Dann glänzen die Bänke tatsächlich golden, tagsüber hält sich der Effekt in bescheidenen Grenzen.
Wobei die Stadt ja überraschenderweise verlautbarte, ein Wechsel ins Silbrig-Graue sei Teil des künstlerischen Gesamtkonzepts. Na klar, es gibt im Von der Heydt-Museum auch silberne Rahmen. Und natürlich auch graue, schwarze und braune, denn wer weiß schon, in welche farbliche Richtung sich die teuren Stücke noch weiterentwickeln werden? Als Stadtsprecher muss man wohl die Selbstachtung an der Garderobe ablegen, denn wer soll bitteschön diese windige Erklärung ernst nehmen?
Und damit kommen wir zu den Problempunkten dieser Investition. Sie ist nicht per se unpassend für Wuppertal. Allerdings passte sie tatsächlich besser nach München oder auch Düsseldorf, wo sich auf der Kö das entsprechende Publikum eher finden dürfte, das den recht weit hergeholten Bezug zwischen diesen Sitzmöbeln und den Bilderrahmen im nahen Museum nachvollziehen kann.
Ohne den Passanten in der Herzogstraße und auf dem Von der Heydt-Platz zu nahe treten zu wollen, aber ich bezweifle, dass die Mehrheit überhaupt von der Existenz des Von der Heydt-Museums weiß, geschweige, dass sie das Haus schon einmal besucht hätten. Übrigens, auch wenn es die Atmosphäre der „geweihten Hallen" natürlich beeinträchtigt: Als Besucher verschiedenster Sammlungen habe ich mir schon des Öfteren gewünscht, dass die dortigen Bänke, die tatsächlich meist die Form unserer „goldenen" Pendants haben, eine Rückenlehne hätten.
Ob die überteuerte Investition in München einen Aufschrei der Entrüstung ausgelöst hätte, kann ich nicht beurteilen. Wohl aber, dass sie es in Berlin selbst und bundesweit ganz sicher getan hätte. „Berlin-Bashing" ist doch zu so etwas wie einer eigenen Marke geworden, das dürfte auch Ihnen nicht verborgen geblieben sein.
Insofern kann ich die Gedankengänge der von Ihnen so gelobten „Zeit“-Autorin nicht nachvollziehen. Mit nicht erhobenen Steuern zu argumentieren, ist denn auch so eine dieser Ideen, die dieser Zeitung das Epitheton (ein sprachlicher Zusatz, Anmerkung der Redaktion) „zeitgeistig" eingetragen haben. Herr Steinbrück würde es vermutlich mit „hätte, hätte, Fahrradkette" abtun.
So zutreffend Ihre Kritik an einer Haltung des prinzipiellen „kennen, wollen, verstehen wir nicht" ist, so unlauter ist es, diese mit einem „ist zu teuer" zu vermengen. Selbstverständlich kann etwas, dass man kennt, versteht und liebend gern will, zu teuer sein – prinzipiell, oder aber nur für die eigenen Verhältnisse. Hier trifft sicher beides zu.
Ich halte diese Installation, für die das Planungsbüro mit hoher Wahrscheinlichkeit einen sechsstelligen Betrag kassiert hat, für prinzipiell zu teuer. Ich halte es aber vor allem für eine Stadt und ein Bundesland, die beide hohe Schuldenberge vor sich her schieben, für zu teuer. Da die Zuschüsse zweckgebunden waren, hätte Wuppertal entweder preisgünstigere Bänke oder eine andere der geplanten städtebaulichen Umstrukturierungsmaßnahmen anmelden sollen. Und wenn dann etwas mehr Geld für andere klamme NRW-Kommunen übrig geblieben wäre, auch gut, solange das Fördergeld effektiver eingesetzt worden wäre.
Ich weiß, ein frommer Wunsch, denn Effektivität steht in der deutschen Politik auf der Prioritätenliste sehr, sehr, sehr (um die Terminologie des Kanzlers zu verwenden) weit hinten, Stichwort: der immer nur akklamierte Bürokratieabbau.
Starten Sie eine Umfrage, sehr geehrter Herr Seitz: Der Mehrheit der Passanten wäre sicherlich die doppelte Anzahl Bänke und diese möglichst mit Rückenlehne, gerne auch aus dem Katalog des „üblichen Einheitsbreis der Stadtmöblierung", lieber als die „goldenen" Bänke, die übrigens nicht nur aufgrund fehlender Lehnen unpraktischer sind als die von Ihnen geschmähten, sondern auch wegen einer deutlich längeren Trockenzeit nach einem Regenguss, der ja in unserer Stadt nicht gerade Seltenheitswert besitzt.
Ihr Geheimnis bleibt auch, wo sich die Stadt beim Umbau des Von der Heydt-Platzes etwas getraut haben soll, von den Bänken mal abgesehen. Die „Memory"-ähnlichen Würfel, die leider auch schon deutliche Witterungsspuren zeigen, werden anscheinend weitestgehend übersehen, ich habe sie jedenfalls noch nie in Benutzung erlebt. Das Wasserspiel, wenn es denn mal läuft, was aus meteorologischen Gründen schätzungsweise zu nur einem Viertel des Jahres geschieht, ist eine nette Attraktion vor allem für die Kleinen. Ansonsten ist die Fläche so grau und tot wie die gesamte Pflasterung des Platzes.
Wüsste ich nicht, dass der Platz neu gepflastert wurde, hätte ich geschworen, dass die vereinzelten hellen Verbundsteine im dunkleren Bereich und vice versa das Ergebnis von Ausbesserungsarbeiten seien, wie wir sie von früher kennen, als Fehlstellen mit dem geflickt wurden, was so gerade zur Hand war.
Vielleicht steckt dahinter auch ein „künstlerisches Konzept", denn was gilt heute nicht als „künstlerisch"? Erkenn- und erfahrbar ist da für mich nichts als die Anmutung bloßer Willkür.
WENN die Stadt sich was getraut hätte, dann hätte sie für deutlich mehr Grün und vielleicht eine positiv farbliche Bodengestaltung statt dieses 08/15-Graus gesorgt. Dann hätte sie auch keine im Anspruch überkandidelten „goldenen" Bänke aufstellen müssen.
Aber abgesehen von Form und Farbe: Wären diese Möbel nicht so unverschämt teuer, gäbe es die Häme und die meisten Leserbriefe nicht! Die Kosten machen sie zum Politikum!
Denn das ist das zentrale Problem des politisch-administrativen Milieus in dieser Stadt: Eine großflächige Lethargie in Rückkoppelung mit einer selbstmitleidigen Selbstverzwergung, die nur hie und da von Eruptionen des Größenwahns unterbrochen wird. Auch Sie dürften doch noch die Sprechblasen aus den Zeiten des Döppersberg-Umbaus im Ohr haben, als sich die Stadtspitze zur Prognose verstieg, damit werde Wuppertal Düsseldorf Konkurrenz machen können.
Wer diese Aussage per se schon für lachhaft hielt, wurde einige Wochen später durch die objektiven Fakten bestens bestätigt, als sich nämlich herausstellte, dass sich für diese Perle der Einkaufsmeilen-Architektur als Ankermieter gerade mal ein Interessent, ein nicht gerade positiv beleumundeter Bekleidungsdiscounter, gemeldet habe, von dem sich die Stadt zum Hohn später auch noch gewaltig über den Tisch ziehen ließ. Da war sie dann wieder, die Selbstverzwergung.
So steht es nun einmal um unser Wuppertal – und ich vermute, die meisten Ihrer Leserinnen und Leser könnten mit dieser grauen Normalität trotzdem ganz gut leben, wenn dies zur Folge hätte, dass in der Verwaltung sachgerecht und effektiv gearbeitet, dass Konzepte durchdacht und nicht erratisch umgesetzt würden, was sich auch darin zeigen könnte, dass die Fußgängerzone mehr Aufenthaltsqualität hätte.
Wie kann es sein, dass die Stadtwerke elf Jahre für ihre Arbeiten benötigen wollen? In der Zeit wurden zur Blütezeit Elberfelds ganze Stadtviertel hochgezogen, nicht nur ein paar Leitungen verlegt, um es pointiert zu formulieren. Da wäre Nachsteuerung dringend geboten.
Es gibt durchaus formschöne Standardstraßenmöbel, deren zusätzliche zeitnahe Aufstellung zum Beispiel auf Kirch- und Armin-T.-Wegener-Platz wohl deutlich besser beim Publikum angekommen wäre als der „goldene" Anstrich dieser „unüblichen" Bänke. Wozu auch? Glaubt ernstlich irgendwer, dadurch würde (von der kurzen Phase des Neuigkeitswerts abgesehen, der sogar ein ARD-Team dorthin brachte) die Kundenfrequenz in der Herzogstraße nennenswert gesteigert? Der Döppersberg-Umbau lässt grüßen!
Damit zu Ihrem letzten Satz: Hätte die Stadt an die Stelle der Bänke für einen Bruchteil des Geldes ein paar Backsteinmäuerchen gebaut, säßen „sobald das Wetter danach ist" garantiert auch „immer mehr Leute" darauf. Insofern ist Ihr Argument wirklich eines kurz vor dem intellektuellen Hungertod.
Bei aller Liebe zu unserer Heimatstadt, aber noch nie hat mich ein Kommentar von Ihnen so wenig überzeugt.
Um positiv zu schließen: Ihre Opernrezensionen gefallen mir sehr gut. Toll, dass Sie „auf Ihre alten Tage" sich für diese Kunstform neu begeistern können.
Ludger Zengerling
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