Tanztheater-Analyse Gescheiterte „Geheimdiplomatie“ und Uli Hoeneß
Wuppertal · Die Kündigung, die das Wuppertaler Tanztheater im Juli 2018 gegen Intendantin Adolphe Binder aussprach, bleibt unwirksam. Das hat das Landesarbeitsgericht Düsseldorf jetzt entschieden. Das Urteil ist endgültig – eine Revision unmöglich.
Im Urteil heißt es, das Tanztheater habe keine hinreichenden Gründe für die fristlose Kündigung geliefert. Das angeführte Fehlen eines umsetzbaren Spielplanes reiche dafür nicht aus. Zuvor hatte schon das Wuppertaler Arbeitsgericht der 50-Jährigen Recht gegeben.
Binder hat das Tanztheater auch auf Weiterbeschäftigung und Zahlung des Gehaltes verklagt. Dazu hat das Gericht noch nicht geurteilt. Es wird im kommenden Jahr einen weiteren Termin dazu geben.
Das Tanztheater hatte schon in der ersten Instanz schweres Geschütz aufgefahren. Der Vorwurf, Adolphe Binder habe keinen oder einen nur schwer umsetzbaren Spielplan für die Saison 2018/2019 vorgelegt, hatte den Fakten damals schon nicht standgehalten. Es habe sehr wohl einen Plan gegeben, so Adolphe Binder, der im Nachhinein von ihrer Nachfolgerin für die erste Hälfte der Saison auch durchgeführt worden sei.
Dass auch aufwendige Produktionen geplant waren, schien den Kaufleuten in der Verwaltung des Tanztheaters schwer im Magen zu liegen. Aber hatte diese Verwaltung denn überhaupt die Entscheidungsgewalt, um Adolphe Binder zu bremsen, die in den Verwaltungsaugen ja nur eine Angestellte war? Eben nicht, sagte das Gericht und kam zum Dreh- und Angelpunkt dieses Streites: dem Arbeitsvertrag. Der enthielt keine Einschränkungen, vor allem nicht bei künstlerischen Entscheidungen. Der Vorsitzende Richter sah Parallelen zur Bundesliga – „ein Hoeneß sagt dem Kovac auch nicht, welche Spieler er aufstellen soll“.
Laut Roger Christmann, dem neuen Geschäftsführer, der an den Kündigungswirren nicht beteiligt gewesen sein soll, habe es aber wohl eine Vorbesprechung gegeben. Nach der sei klar gewesen, dass Adolphe Binder der Verwaltung unterstellt sei – nur, so das Gericht, sei das im Vertrag nicht zu finden(!), und wertete die Entwicklung so: „Das Kind ist in den Brunnen gefallen, als der Vertrag gemacht wurde.“
Aus Sicht normaler Arbeitnehmer schien der Vertrag ungewöhnlich großzügig zu sein: Es gab keine Kündigungsparagrafen, es gab weder Stellenbeschreibung, Aufgabenbeschreibung noch Organigramm und auch keine Zeitplanung. Dafür aber eine großzügige Urlaubsregelung. Also eine „Carte blanche“ – ein nicht unüblicher Vertrauensbeweis, mit dem gemeinhin auch Spitzenkräfte in der Wirtschaft gelockt werden.
Als hilflose Versuche, aus Randgeräuschen trotzdem einen Hebel zur Vertragsaufhebung zu konstruieren, wertete das Gericht weitere Vorwürfe. Einen vermuteten und angeblich von Adolphe Binder verschwiegenen Rausschmiss beim Tanztheater Göteborg wollte das Tanztheater als arglistige Täuschung mit der Konsequenz der Vertragsaufhebung einstufen. Das Arbeitsgericht hingegen erkannte in der Übersetzung aus dem englischsprachigen Text nur eine gütliche Trennung aufgrund unterschiedlicher künstlerischer Ansichten. Das sei nicht ehrenrührig, so etwas habe Adolphe Binder nicht anzugeben brauchen.
Ein behaupteter Eignungsmangel und der Vorwurf einer chaotischen und unprofessionellen Arbeitsweise waren für das Gericht aufgrund der vorgelegten Unterlagen nicht nachzuvollziehen. Auch der Vorwurf „Die Klägerin (Adolphe Binder) ist extrem ichbezogen und stellt sich in den Vordergrund“ schien dem Gericht nur ein Achselzucken und ein knappes „ Na und?“ wert zu sein.
Ein 80-seitiger Bericht der Beraterin Dr. Henke für die Verwaltung, der in dem Vorwurf gipfelte, Adolphe Binder sei „unbelehrbar und ungeeignet“, fiel als Beweis schon deshalb durch, weil er weder dem Gericht bekannt, noch Adolphe Binder zugänglich gemacht worden ist. Selbst der Tanztheater-Beirat habe nichts davon gewusst. Der Richter stellte den Ausdruck „Geheimdiplomatie“ in den Raum.
Und die Abmahnung, weil Adolphe Binder die Presse informiert und für ihre Zwecke eingespannt habe? Ebenfalls kein Kündigungsgrund, so das Gericht – die Verwaltung des Tanztheaters und die Stadt hätten das ebenfalls gemacht.
Fazit: Insgesamt eine Ohrfeige für die Stadt, eine Genugtuung für Adolphe Binder. Entsprechend die Reaktionen im Publikum, darunter auch einige Pina-Bausch-Tänzer.
Der Vorsitzende machte keinen Hehl daraus, dass er, als Wuppertaler, nicht glücklich mit dem Streit sei – und empfahl den Parteien, sich um eine Lösung zu bemühen. Dass Bewegung in die Sache zu kommen scheint, war im Anschluss an die Verhandlung offensichtlich: Tanztheater-Geschäftsführer Roger Christmann nahm unverzüglich Kontakt mit Adolphe Binder auf, um Gesprächstermine zu vereinbaren.