Frauen im Exil, Frau mit Gipsbein

Wuppertal · Zwei neue Bücher auf einen Blick: Roland Hoja schaut zurück nach Paris, Karl Otto Mühl bringt Unveröffentlichtes der vergangenen Jahrzehnte.

Karl Otto Mühls „Aus dem Hinterhalt“ ist im Brockmeyer-Verlag erschienen und kostet 11,90 Euro.

Foto: Brockmeyer-Verlag

"Wartesäle der Poesie" hat der Wuppertaler Autor Roland Hoja sein 136-Seiten-Taschenbuch genannt — und ihm den Untertitel "Schriftstellerinnen im Pariser Exil 1933—1941" gegeben. Einer ganze Reihe von schreibenden Frauen sowie ihrem oft ähnlichen, dann aber auch wieder ganz verschiedenen Schicksal widmet sich Hoja, lässt beklemmende Jahre wieder lebendig werden, in denen sich Paris und seine bei den Vertriebenen aus Deutschland und Österreich als Treffpunkte beliebten Cafés, die "Wartesäle der Poesie", vom ersehnten Reiseziel und/oder erhofften, sicheren Fluchtort als Plätze erwiesen, wo man nach der deutschen Besetzung nicht mehr bleiben konnte.

Roland Hojas „Wartesäle der Poesie“ gibt es bei Books on Demand für zehn Euro.

Foto: Books on Demand

Um Anna Seghers geht es, um Erika Mann oder Lisa Feuchtwanger, um die bekannteren zu nennen, aber auch um Lisa Fittko, Gina Kaus oder Max Ernsts (erste) Ehefrau Lou Ernst, die nicht mehr zum heute geläufigen Literaturkanon gehören.

Roland Hoja holt sie mit ausführlichen Lebensbeschreibungen und vielen Textbeispielen aus dem Vergessen hervor. Geschildert werden Frauen, Ehefrauen, Mütter, denen es oft besser und konkreter als (ihren) Männern gelingt, mit dem durch die Nazis erzwungenen Exil fertig zu werden. Sehr spürbar werden die bitteren und sich stetig verschlechternden Lebens- und Arbeitsbedingungen, die fragile (letzte) Hoffnung, über Südfrankreich, Spanien, Portugal auswandern zu können — weg von Europa. Und die wackelige Welt der Cafés, in denen die Zeit immer wieder einmal stillsteht, Atemholen erlaubt — aber auch Enttäuschungen bereithält.

Zwar verlangt Hoja von seinen Lesern in Sachen Politiktheorie & Co. oft einen langen Atem, doch dass er so facettenreich unterschiedliche Textteile aus Romanen, Erzählungen und Dokumentation über das Leben auf der Flucht zusammengetragen hat, muss ihm hoch angerechnet werden.
Hojas Respekt vor diesen komplett verschiedenen und doch sämtlich starken Frauen ist auf jeder Seite hörbar.

Da sei nur Lisa Fittko erwähnt, die (zusammen mit ihrem Mann) einen bergigen Fluchtweg aus Frankreich heraus betreute, der vielen Menschen das Leben gerettet hat. Benannt nach ihr, was sie verdient gehabt hätte, ist er heute aber nicht. Und die Originaltexte, die das Buch bringt, lassen ob ihrer literarischen Qualität immer wieder aufhorchen. Eine echte kleine Fundgrube.

Übrigens: "Wartesäle der Poesie" lässt sich auch unter dem Aspekt der aktuellen Flüchtlingssituation lesen. Wer unter dem Druck von Gewalt im Heimatland ein neues Zuhause finden muss, braucht viel Glück und viel Kraft. Damals wie heute.

Apropos damals und heute: Einer, der auch weit zurückblicken kann, ist Karl Otto Mühl, Grandseigneur der Wuppertaler Literaturszene. 1923 kam er zur Welt, ist gerade 93 geworden — und hat immer noch Texte "auf der Pfanne", die man nicht kennt. Unter dem Titel "Aus dem Hinterhalt" gibt es 23 davon jetzt im 124-seitigen Taschenbuchformat. "Satiren" steht vorn als Untertitel drauf. Das trifft mal zu, mal nicht. Teilweise führt es gar auf eine falsche Fährte.

Trotzdem: Mühl ist in den hier versammelten Texten ganz er selbst. Trocken, knapp, fast immer auf den Punkt — ein Erzähler ohne großes Brimborium, dafür mit klarem Blick auf sich selbst und die Menschen. Er seziert (wenn's nötig ist) offen und ohne Blatt vor dem Mund, verletzt aber nie. Wenn er über andere lacht, dann zugleich auch immer über sich selbst.
Der ganz kleine (heutige) Alltag findet sich ebenso in "Aus dem Hinterhalt" wie die Nachkriegszeit, das Seniorendasein, (Alp-)Träume, Männer, Frauen, Tiere, Holländer, oder gar (man höre und staune) erotische Fantasien eines älteren Herren angesichts einer strengen Polizistin. Die eine oder andere Geschichte, das darf man nicht verschweigen, hätte ruhig in der Schublade bleiben können. Gut zu lesende Satiren aber — weil sehr schräg und drum sehr gut — sind beispielsweise "Studentenschicksal", "Lauter freundliche Menschen", "Tacko" mit dem sprechenden Hund — sowie vor allem das abstruse, bayerische Gesundheits-Freizeit-Debakel "Von der Schwierigkeit zu wandern".

Das Etikett "kleines Stück großer Literatur" dagegen verdient sich "Hans im Glück" — vor allem aber die erschütternd ehrliche Erzählung "Frau mit Gipsbein". Die — und hauptsächlich ihr Schlusssatz — lassen einen schlucken.