Jedes Wort wie eine Waffe
Wuppertal · Das hätte auch Heiner Müller richtig gut gefallen: Ganz allein auf der Bühne liefert der viergesichtige Uwe Dreysel ein hochklassiges "Quartett".
Etwa 75 Minuten dauert das, führt die Zuschauer im Kleinen Foyer ganz oben unterm Dach des Opernhauses (toller place to be / place to see!) ganz nah die nur wenige Meter große Bühne. Diese Atmosphäre, die im "normalen" Theaterraum gar nicht zu haben wäre, ist schon die halbe Miete.
Was Heiner Müller 1980 als Zweipersonenstück geschrieben hat, basierend auf dem französischen Rokoko-Briefroman "Gefährliche Liebschaften" von Choderlos de Laclos, das reduziert Schauspieler Uwe Dreysel, der sein eigener Regisseur ist, hier auf ein "Quartett", dem er selbst alle vier Gesichter, Stimmen und Stimmungen gibt. Ein Mann ist er — und drei Frauen. Zur Oberklasse gehören sie alle, von der Revolution, die sie bald hinwegfegen wird, ahnen sie noch nichts. Und ihr Daseinszweck ist schnell beschrieben: Reden und Gerede.
Über Gott, Glaube, Treue, Untreue, Jungfräulichkeit, über Langeweile, über Fleisch und Vergänglichkeit, über Gefühle und die Liebe. Aber in Wahrheit geht es doch immer nur um die mörderische Frage, wer mit wem schläft. Und wie lange es dauert, bis der amouröse Überredungsmarathon zum Ziel führt. Dabei sind vor allem die beiden Hauptfiguren von "Quartett", der Herzensbrecher Valmont und die zynische Adlige Merteuil, vor allem eines — leer und einsam. Jede Kerbe in der Bettkante, jeder sexuelle "Erfolg" beweist immer nur das.
Uwe Dreysel, der vor Beginn des Stückes die Gäste auch an der Bar bewirtet, bewältigt eine immense, hochkomplexe Textmenge, hält sein Publikum immer fest im Griff, schafft es, mit kleinen Verschiebungen der Stimmlage, mit plötzlich ein paar anderen Bewegungen, und einer winzigen Menge von Requisiten vier völlig verschiedene Personen in einem Körper zu sein.
Der schmale, sehnige Kerl mit seinem mal durchdringenden, mal charmanten, mal lustigen Blick und seiner fesselnden Stimme (die ist fast so gut wie die von Thomas Braus, nein — eigentlich genauso gut) ist auf den sechs, acht Metern Bühne ständig unterwegs: Er trinkt, wechselt Schallplatten, ätzt, verletzt, wirbt, schnurrt, verschlingt Schokolade, kreuzigt sich und blutet, legt erschreckende Innenlandschaften frei. Und ist am Ende, was wir immer sind, zu allen Zeiten, wenn unser Herz keine Heimat hat — allein.
"Quartett" ist obszön, auch pornografisch, gallenhumorig, gefühlskalt, bitter wahr. Die Fokussierung von vier Wesenswelten auf einen Darsteller ist ein Wagnis: Uwe Dreysel besteht es. Muss man sehen — und mehr davon!