Nach Toreschluss - die Wochenendsatire Wubbetal Hauptbahnhof

Wuppertal · Vorige Woche wollte ich mit der Eisenbahn von Wuppertal nach Berlin fahren. Fahren ist dabei allerdings nicht unbedingt das Wort der Wahl, weil man dafür erst einmal ziemlich lange stehen muss. Der Intercity Express der Deutschen Bahn in Richtung Bundeshauptstadt neigt nämlich zu Verspätungen, die beinahe die Größenordnung der Verzögerung beim Bau des dortigen neuen Flughafens BER erreichen können. Die betrug neun Jahre.

Roderich Trapp.

Foto: Wuppertaler Rundschau/Max Höllwarth

In meinem Fall kam der ICE zum Glück nur eine Stunde lang alle zehn Minuten zehn Minuten später. So etwas gibt einem viel Zeit für interessante Beobachtungen. Man kann beispielsweise den Panoramablick von Gleis 2 in Richtung Bahnhofsgebäude schweifen lassen. Es präsentiert sich auf dieser Seite auf 100 Metern Länge als Mischung aus Europas größter Taubenkacke-Ausstellung und dem verfallenen Hauptbahnhof einer verlassenen sibirischen Bergarbeiterstadt, wirkt allerdings insgesamt etwas ungepflegter.

Als Einheimischer schließt man da besser die Augen und konzentriert sich dann zum Beispiel auf die Durchsagen, die Fahrgäste alle paar Sekunden über das Schienenverkehrsgeschehen informieren sollen. Zu verkünden sind dabei deutlich mehr Verspätungen als Ankünfte. Für diese Verspätungen gibt es eine faszinierende Vielfalt von Gründen. In zehn Minuten notiere ich: „Verspätete Bereitstellung des Zuges“, „Vorfahrt eines anderen Zuges“, „Reparatur an einem Signal“, „defektes Stellwerk“ und „Schaden am Fahrzeug“. Möglicherweise wäre es daher einfacher und weniger aufwendig, die Gründe für das pünktliche Eintreffen von Zügen durchzugeben. Aber wahrscheinlich kennt die keiner.

Die Durchsagen kommen übrigens aus Lautsprechern, die ausweislich ihrer Klangqualität bereits die Ankunft von Wilhelm II. und Gattin Auguste Victoria auf ihrem Weg zur legendären Fahrt im Kaiserwagen verkündet haben. Zu verstehen ist im Allgemeinen nur das Wort „Wuppertal“, bei dem es allerdings eine verstörende Auffälligkeit gibt: In den offensichtlich maschinell mit Hilfe automatisierter Sprach-Bausteine erzeugten Durchsagen wird der Name unserer Heimatstadt ungefähr so ausgesprochen: „Wubbetal“. Wie kann so etwas sein?

Hier wurde offensichtlich nicht nur aus Kostengründen ein arbeitsloser sächsischer Synchronsprecher als Ansager engagiert, sondern auch noch das „r“ eingespart. Vermutlich muss die Bahn bereits einzelne Buchstaben verkaufen, um die Schaffner bezahlen zu können. Oder das „r“ wollte mit dem Zug nach Wuppertal fahren und hat heute Verspätung. Wenn noch mehr Buchstaben mit der Bahn kommen, dann heißt Wuppertal bald nur noch Wal.

Zwischendurch muss ich mal aufs Klo, wozu man sich in unsere schicke neue Bahnhofs-Mall begibt. Dieses Klo heißt übrigens nicht mehr Klo, sondern „Rail & Fresh“, ist aber nur drei Jahre nach der Eröffnung im wesentlichen nur noch „Rail“. Der Rest der Mall sieht aber noch sehr gut aus. Deshalb werden Auswärtige nach Abschreiten des Elends an den Gleisen beim Betreten dieser Mall auch unmittelbar befürchten, versehentlich in eine Zeitmaschine geraten zu sein. Umgekehrt werden Nicht-Wuppertaler, die über den neuen Döppersberg und durch die Mall zum Bahnsteig emporsteigen, wahrscheinlich annehmen, dass ihnen gleich Gudio Cantz in Bahn-Uniform auf die Schultern klopft, weil sie ganz bestimmt bei „Verstehen Sie Spaß?“ gelandet sind.

Dann aber liegen sich wildfremde Reisende und ich in den Armen, weil unser Zug kommt. Natürlich mit umgedrehter Wagenreihung und ausgefallenen Reservierungsdisplays an den Sitzen, weshalb man seine vorgesehenen Plätze erst nach rhetorisch hochwertigen Diskussionen mit dem hier sesshaft gewordenen Herrenkegelclub aus Köln einnehmen kann, der seine 200 Sixpacks Dom-Kölsch und sich selbst nur widerwillig an mangels Reservierung gar nicht vorhandene andere Plätze verfügt.

Sodann will ich durch Einloggen in das umfangreich angepriesene bordeigene Internet beruflich tätig werden. Dieses Netz heißt „WLANonICE“. Der Name ist gut gewählt, weil das WLAN über weite Teile der Strecke tatsächlich auf Eis liegt. Ich nehme an, dass der Schaffner die Bits und Bytes Datenpakete einzeln in die Abteile trägt.

Irgendwann bin ich übrigens tatsächlich in Berlin angekommen und damit besser dran als der VfL Wolfsburg, dessen Spieler in umgekehrter Fahrtrichtung auf dem Weg zur Bundesligapartie in Mönchengladbach in Hamm aus dem ICE steigen mussten, weil die Klimaanlage kaputt war. Diesen Grund kannte ich übrigens noch nicht. Viele Fußballfans hätten es allerdings auch nicht so schlimm gefunden, wenn die Mannschaft am Ende gar nicht angekommen wäre ...

Bis die Tage!