Nach Toreschluss – die Wochenendsatire Ein Jahr mit 731 Tagen

Wuppertal · Seit Albert Einstein wissen wir ja, dass die Zeit relativ ist. Das erkennt man allein schon daran, dass sich der große Physiker so viel mit ihr beschäftigt hat, aber trotzdem nie genug Zeit fand, zum Friseur zu gehen.

Roderich Trapp.

Foto: Max Höllwarth

Im Moment herrscht übrigens wieder ganz besonders viel Verwirrung um die Zeit, weil viele Leute bestreiten, dass am 1. Januar 2020 wirklich ein neues Jahrzehnt angefangen hat. Ich fasse die Sachlage mal zusammen: Das Grundproblem liegt in einem groben Fehler, der unmittelbar nach Christi Geburt gemacht wurde. Da begann man nämlich vor lauter Euphorie gleich mit dem Jahr 1 nach Christus zu zählen, obwohl es ja genau genommen das Jahr Null war. Deshalb waren erst neun Jahre vergangen, als man am 1. Januar 10 in Ermangelung von Sekt oder Champagner mit Eselsmilch oder Met überschwänglich auf das neue Jahrzehnt anstieß. Und das hat sich dann bis heute so durchgezogen. Vor vier Tagen waren also erst 2019 Jahre seit Christi Geburt rum, was bedeutet, dass die Goldenen Zwanziger des 21. Jahrhunderts eigentlich erst am 1.1.2021 anfangen können.

Wenn ich das richtig sehe, ließe sich dieser Missstand relativ (!) leicht beheben, indem wir mit dem Zählen ein Jahr Pause machen. Das Jahr 2020 würde dann einfach zwei Jahre lang dauern und alles wäre wieder in der Reihe. So etwas ist in der Zeitrechnung nicht unüblich, schließlich gibt es im Sport auch schon längst Auszeiten. Und außerdem haben wir ja auch jetzt schon Schaltjahre, in die wir einfach einen zusätzlichen Tag reinmogeln, weil mit der Länge des Jahres an sich ebenfalls irgendetwas nicht ganz stimmt. 2020 ist übrigens so ein Schaltjahr, so dass wir im Rahmen der soeben von mir erfundenen Auszeit über ein Jahr mit insgesamt 731 Tagen reden würden. Was man da alles erledigen könnte ... Wir sollten dabei allerdings darauf achten, dass sich pelzige Dinge wie die Amtszeit von Donald Trump oder die Bundesliga-Tabellenführung von Brauseball Leipzig nicht versehentlich auch um ein Jahr verlängern. Das wäre als Kollateralschaden ein zu hoher Preis.

In anderen Bereichen würde die Auszeit dagegen sehr helfen: Es wäre beispielsweise die einmalige Chance, den Berliner Flughafen doch noch 2020 fertigzustellen. Oder die Heimspieleinnahmen des WSV im Jahr 2020 zu verdoppeln und damit die Pleite abzuwenden. Oder das Köbo-Haus wie geplant 2020 zu sanieren und das Engels-Haus doch noch pünktlich zu Friedrichs 200. Geburtstag wieder zu eröffnen. Dann kämen auch doppelt so viele Chinesen, die ganz Europa in Ruhe in sechs statt in drei Tagen bereisen könnten.

Den viel diskutierten hohen Anteil des Neujahrs-Feuerwerks am jährlichen Feinstaub-Ausstoß hätten wir damit nebenbei bemerkt auch dramatisch reduziert, weil Silvester quasi einmal ausfällt.

Und überhaupt würden wir viel Zeit gewinnen, die ganz drängenden Fragen unserer Epoche zu klären. Vor allem die offenbar absolut existenzielle, ob im Hühnerstall Motorrad fahrende Omas wirklich Umweltsäue sind ...

Unter dem Strich sehe ich in der Auszeit also fast nur Vorteile. Abgesehen davon ist 2020 so eine schöne, harmonische Jahreszahl, dass es doch glatte Verschwendung wäre, sie nach einem Jahr schon wieder einzumotten. Genießen wir sie doch einfach! Zumal selbst bestens privat Krankenversicherte unter uns größere Probleme haben dürften, das Jahr 3030 noch zu erleben. So relativ ist die Zeit nun auch wieder nicht.

Bis die Tage!