Kommentar Die da oben und die Kackophonie

Wuppertal · Sie erwarten von mir jetzt möglicherweise mit Blick auf die Corona-Pandemie, den nächsten Lockdown oder die ab Montag geltende nächtliche Ausgangssperre ein paar deftige Sätze oder zumindest Häme gegen „die da oben“. Ist ja zeitgemäß, auch in einigen Medien.

Das Ordnungsamt bekommt ab Montag noch mehr zu tun.

Foto: Christoph Petersen

Gegen die Politikerinnen und Politiker also, die vom „gesunden Menschenverstand keine Ahnung“ haben und sowieso immer alles falsch machen. O.k., können Sie haben, allerdings nur zu Beginn. Danach muss ich mich, auch wenn es weh tut, noch anderen Gruppen zuwenden.

Richtig ist: Es ist verdammt vieles falsch gelaufen in den vergangenen 13 Monaten. Das fängt bei der skandalös späten Auszahlung der Gelder an diejenigen an, die ihren Berufen und damit ihrem Lebenserwerb nicht mehr nachkommen können. Die Betroffenen einem derartig unnötigen psychischen Druck auszusetzen, ist durch nichts zu rechtfertigen. Auch die inzwischen nur noch hochgradig alberne Ministerpräsidenten-Konferenz gehört dazu. Ich schrieb es an dieser Stelle bereits im Sommer 2020: Weitestgehend bundeseinheitliche Regelungen sind in einem solchen speziellen Fall richtig – und eben nicht ein regionales Wirrwar bis hin zur kleinsten Dorf-Milchkanne, das niemand mehr versteht. Und in Sachen Impfstoff-Beschaffung, um ein weiteres Thema anzuschneiden, ist harsche Kritik ebenso absolut angebracht, auch wenn einige der beteiligten Firmen sicherlich mit im Boot sitzen und alles andere als solidarisch, sondern vielmehr ekelhaft kapitalistisch agieren. Mögen die Briten derzeit auch jubeln – geraten sie beim Brexit in den kommenden Jahren unter Druck, werden die EU-Diplomaten deutlich im Hinterkopf haben, dass die Insulaner (und nicht nur die) die eigentlich richtige Solidarität mit Füßen getreten haben.

Die Pandemie betrifft absolut alle Lebensbereiche. Es ist nur logisch, dass ein (gottlob demokratischer) Staat nicht alles bis ins kleinste Detail regeln kann und dadurch Unzufriedenheit entsteht. Allerdings sollte man nicht vergessen, dass weder innerhalb der Parteienlandschaft noch in der Bevölkerung auch nur annähernd deutliche Einigkeit herrscht. Die einen sind für einen viel strengeren Lockdown, die anderen für weitaus größere Öffnungen. Schulen und Kitas auf oder zu? Selbst Eltern sind uneins. Egal wobei: Jeder hat seine Meinung und natürlich auch die entsprechende Expertise, die die untermauert. Heraus kommt eine Kackophonie ungeahnten Ausmaßes, angefacht durch einen nicht enden wollenden Mitteilungs- und Nachrichtenfluss. Da ist es entlastend, einen gemeinsamen Störenfried zu haben: „die da oben“ eben.

Und dennoch, so komme ich zum Anfang zurück, sollte nicht vergessen werden, dass auch einige Bürgerinnen und Bürger selber entscheidend dazu beitragen, die Probleme zu vergrößern und damit die Pandemie zu verlängern: durch größere Zusammenkünfte als erlaubt, durch Missachtung des Homeoffices, durch zu große Ungeduld beim Kampf um die Cervelatwurst im Supermarkt, durch fehlende Abstände auf den Schulhöfen und davor, durch uneinsichtige Religionsgemeinschaften aller Couleur, unnötige (vor allem internationale, nur des Geldes wegen ausgetragene) Sportveranstaltungen sowieso. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Wobei ich erwähnen möchte, dass sich viele verantwortungsbewusst verhalten, einige andere eben nicht. Und die verlängern leider alles.

Das nächste Problem wird sein, klarzumachen, dass eine Impfung keinen Generalschutz beinhaltet, sondern zunächst „nur“ die Krankheitsverläufe abmildert. Als neulich eine ältere Dame darum gebeten wurde, doch bitte Abstand zu halten, antwortete sie triumphierend: „Ich bin schon zwei Mal geimpft!“ Da ist dann wirklich gesunder Menschenverstand gefragt.