Kommentar Ey Du, alles „social“, oder was?

Die erste Welle ist abgeebbt. Nein, nicht die der Corona-Pandemie, sondern die der PR-Offensive des seit November amtierenden Oberbürgermeisters Prof. Uwe Schneidewind.

Jörn Koldehoff.

Foto: Wuppertaler Rundschau/Max Höllwarth

Es war schon eine Kampagne – wie Comedian Torsten Sträter sagen würde – „biblischen Ausmaßes“, die die Präsentation seines Zukunftsprogramms ankündigte. Und die deutlich machte, wie schmal der Grat zwischen Aktion und Aktionismus liegt. Der Zehn-Tage-Countdown auf Instagram jedenfalls wirkte etwas bemüht.

Dennoch wäre es natürlich falsch, nicht möglichst viele Kanäle zu bespielen. Wobei es ein Kardinalfehler wäre, zentrale Aussagen jeweils allein über einzelne Anbieter zu verbreiten. Die Frage, wie „sozial“ Facebook, Instagram und Co. sind – siehe aktuell den ohne Angabe von Gründen gesperrten „Monitor“-Beitrag zum Thema Hanau – und ob sie nach jahrelangem Wegschauen und Abkassieren ohne Interesse an gesellschaftlichen Folgen nun nicht doch eher auf dem Weg zu einer Zensur-Instanz sind, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Schnell wird das Presseamt merken, dass sein neuer Twitter-Auftritt wohl nur einen relativ kleinen Kreis erreichen wird. Jenes Presseamt, das als eines der wenigen in der Region am Wochenende keine Corona-Fallzahlen veröffentlicht.

Die Forderung, nun eigens dafür neue Stellen zu schaffen, ist wenig nachvollziehbar. Die wären andernorts viel wichtiger – in Pflegeheimen, Kindergärten, Schulen. Schneidewind selber nutzt seinen privaten Facebook-Account, als OB ist er nun offiziell auf Instagram. Die Gefahr, auf diese Weise vor allem wichtige Aussagen nicht flächendeckend transportiert zu bekommen, ist nicht gering. Also alles über einen städtischen Account? Es werden jetzt schon Wetten angenommen, wie schnell der Vorwurf der Parteilichkeit käme …

100 Tage hatte sich Schneidewind nach seiner Wahl im Hintergrund gehalten. Das war absolut legitim, auch wenn der Hinweis, dass er die Stellungnahmen zur Corona-Pandemie lieber Krisenstabsleiter Dr. Johannes Slawig überlassen hat, zu einem früheren Zeitpunkt sinnvoller gewesen wäre. Dass Schneidewind sich Zeit genommen hat, um die Strukturen kennenzulernen, war selbstverständlich richtig. Er war bislang weder Rathaus- noch Partei-Profi, sondern angesehener Wissenschaftler. Und es wartet jede Menge Arbeit auf ihn.

Dabei könnte der Versuch, möglichst viele Bürgerinnen und Bürger einzubinden, zur echten Bewährungsprobe werden. Er hat große Hoffnungen geweckt – etwa in der Wirtschaft, aber auch bei Umweltverbänden. Das Thema Waldgebiet Osterholz zeigt, wie hart die Interessen aufeinanderprallen. Momentan ist erst einmal Ruhe, auch weil noch keine Rodungsgenehmigung der Bezirksregierung vorliegt. Und im Nordpark will der Betreiber der neuen „Turmterrassen“ seine Gäste sicherlich keinen 500 Meter langen Weg gehen lassen. Die nun ausgehandelten 50 zusätzlichen Parkplätze sind eine Zwischenlösung. Ende offen.

Schneidewind hat die Arme ausgebreitet. In den neuen Netzwerken duzt er – das ist halt üblich – seine Followerinnen und Follower. Es gibt nicht wenige, die von einem Oberbürgermeister einen etwas staatstragenderen Auftritt erwarten und schon spöttisch von „Uns Uwe“ sprechen. Das ist allerdings Ansichtssache beziehungsweise eine Frage der Zeit. Viel wichtiger: Das Duzen schafft Nähe, jedoch eben auch die große Erwartung, ein Teil der „Community“ zu sein und die eigenen Vorstellungen erfüllt zu bekommen. Umso größer ist die Enttäuschung, wenn das nicht so eintritt.

Ein Baum wird gefällt oder eben nicht. Irgendwann muss die Entscheidung getroffen werden. Die entsprechenden Reaktionen folgen. Die sind dann keine Welle mehr, sondern der inzwischen obligatorische Shitstorm. „Social“ ist dann nur noch wenig.