Das China-Tagebuch - Teil 10 Zwanglos plaudern

Wenn Gespräche einen offiziellen Anstrich haben, laden die chinesichen Gastgeber gerne zu einer gemütlichen Hufeisenrunde ein. Gemütlich ist daran nicht der steife Ablauf mit namentlicher Vorstellung und nachfolgenden Grußadressen der Delgationsvorderen — sondern die breiten Sessel.

Gedankenaustausch im Konferenzsaal des Instituts zur Übersetzung der Werke von Marx und Engels beim ZK der KP.

Foto: Hendrik Walder

Ihr hufeisenförmige Anordnung ist zwar alles andere als platzsparend, lässt aber den davor liegenden Teppich wunderbar zur Geltung kommen.

Seine reiche Ornamentierung lässt sich obendrein während der chinesischen Statements und Übersetzungen ausgiebig betrachten, wenn man nichts versteht außer der gelegentlichen Erwähnung einer Stadt namens "Uappaataoh". Weitere Abwechslung bietet ein Schluck aus der Tasse, deren geheimnisvoller Inhalt mit einem Deckel vor neugierigen Blicken geschützt ist. Im besseren Fall haben wir dort Tee vorgefunden, es gibt aber auch eine Variante mit lauwarmen Wasser. Das soll nach Ayurveda die Darmtätigkeit anregen, weswegen maßvoller Gebrauch anzuraten ist, will man nicht die feierliche Versammlung nicht durch ein panisches Fluchtmanöver stören.

Weniger förmlich geht es beim Bankettessen zu, das in der Regel an einem oder mehreren runden Tischen über die Bühne geht. Der jeweils Ranghöchste nimmt hier an dem Platz gegenüber der Türe Platz. Nach den Ansprachen und den ersten Essensgängen läuft hier aber die Veranstaltung planmäßig aus dem Ruder. Nach und nach erhebt sich der ein oder andere und sucht willkürlich einen entfernteren Tischnachbarn auf, um mit ihm anzustoßen sowie Vistienkarten und ein Paar Worte zu wechseln.

Wobei der Kartentausch schon wieder eine Zeremonie darstellt: Mit beiden Händen offeriert man mit einer Verbeugung die eigene, aufmerksam nimmt man die andere entgegen und studiert Namen und Titel. Bei großen Banketts können die Sakkotaschen angesichts zu viel erbeuteter Vistikenkarten schon mal an Kapazitätsgrenzen stoßen, andererseits wird man ja bei jedem Treffen auch wieder eine eigene los.

Statt warmen Wassers wird bei solchen Gelegenheiten Rotwein gereicht. Der ist ebenfalls gesund und offensichtlich auch für Chinesen eine schmackhafte Alternative, weswegen man sich bei jedem Gespräch bis zu drei- oder viermal zuprosten kann. Der Trinkspruch lautete "Gan Bei", was dem deutschen "Auf ex" entspricht. Dementsprechend bietet es sich an, die Gläser nicht voll zu machen, sonst könnte der Gegenüber hinter der lallenden Aussprache einen ihn unbekannnten chinesischen Dialekt vermuten.

Vor ausschweifenden Gelagen muss sich der deutsche Bankettteiolnehmer schon wegen seiner legendären Trinkfestigkeit nicht fürchten. Außerdem kann ihm der Gastgeber zu Hilfe kommen, der hat nämlich das Recht zu einem mitunter urplötzlichen Schlusspfiff. Wie aus dem Nichts erhebt er das Wort, bedankt sich bei allen und erklärt die Veranstaltung für geschlossen. Daraufhin gehen alle auch sofort.

Ein Ablauf, den ich mir auch bei manchen privaten Partys zu Hause gewünscht hätte.