Ev. Kirchenkreis und Diakonie Hilfe und Hoffnung gegen Resignation
Wuppertal · Warum braucht Wuppertal eine starke Kirche und Diakonie? An welcher Stelle helfen die Kirchensteuern bereits und was ist für die Zukunft geplant? Ein Interview mit Superintendentin Ilka Federschmidt und Diakoniedirektorin Dr. Sabine Federmann - zwei starken Frauen an der Spitze von Kirchenkreis und Diakonie in Wuppertal.
Frau Federmann, Sie sind seit September in der Stadt. Welchen Eindruck haben Sie von Wuppertal?
Federmann: Wuppertal ist eine vielfältige und zugleich arme Stadt. Die soziale Segregation ist deutlich zu spüren. Auf der einen Seite gibt es die Villenviertel und auf der anderen Seite Stadtteile, in denen viele benachteiligten Menschen leben. Wir stehen da vor großen Herausforderungen.
… und welchen Eindruck vom Zusammenspiel von Kirche, Diakonie und Stadt?
Federmann: „Ich habe erlebt, wie gut Diakonie und Kirche vernetzt sind. Die Diakonie engagiert sich an vielen Stellen und arbeitet eng mit den Vereinen, der Politik und der Gesellschaft in der Stadt zusammen. Das ist nicht selbstverständlich. Und bei uns wie auch auf Seiten der Stadt sind viele Akteure unterwegs, die – im Rahmen ihrer Möglichkeiten – daran arbeiten, etwas für die Menschen zu bewirken. Außerdem ist die Diakonie eines der großen Unternehmen vor Ort und das mit Abstand größte Sozialunternehmen – darum sind wir Ansprechpartner für viele wichtige Fragen.“
Warum braucht Wuppertal gerade in aktuell schwierigen Zeiten eine starke Kirche und Diakonie?
Federschmidt: „Eine starke Kirche und Diakonie werden gebraucht als Stachel im Fleisch, als Anwaltschaft für die Schwächsten unter uns, die aufgrund von ungerechten Verhältnissen durch das System rutschen. Unsere Aufgabe ist es, im Namen Jesu auf die ungerechten Verhältnisse hinzuweisen. Da müssen wir laut werden. Aber wir müssen dabei glaubwürdig sein und da gibt es sicherlich noch Nachholbedarf …“
Warum?
Federschmidt: „Es gibt ein Stück heile Kirchenwelt. An mancher Stelle müssen wir genauer hingucken.“
Federmann: „Ja. Denn wir erreichen als Kirche häufig nur ein bestimmtes Milieu. Damit tut sich Kirche manchmal schwerer als Diakonie.“
Federschmidt: „Dafür hat es die Diakonie andererseits schwerer mit der Parteinahme, weil bestimmte Aufgaben von Stadt oder Land refinanziert und damit auch reglementiert werden. Da haben die Gemeinden anderer Freiheiten, wie zum Beispiel beim Kirchenasyl.“
Umso wichtiger ist also das Zusammenspiel von Kirche und Diakonie …
Federmann: „Genau. Wir haben als Kirche und Diakonie gemeinsam die Aufgabe, die Botschaft Gottes und Jesu in die Welt zu tragen. Und dabei ist Kirche dann wiederum stärker als Diakonie.“
Federschmidt: „Und durch unseren Glauben an die Hoffnung haben wir Christen eine Kraft gegen Ohnmacht und Resignation, das ist ein wichtiges Pfund, das wir einbringen können. Andere Menschen müssen unseren Glauben nicht teilen, aber ich denke, auch sie können diese Widerstandskraft, die das Zusammenleben stärkt, wahrnehmen.“
Springen wir von der Hoffnung einmal zu der konkreten Finanzierung durch die Stadt: Haben Sie Sorge, dass die Stadt ihre Leistungen an die Diakonie kürzen könnte?
Federmann: „Viele Arbeitsbereiche der Diakonie werden über die Stadt finanziert. Seit zehn Jahren ist die Finanzierung allerdings weitgehend gedeckelt, das heißt, die Summe wird trotz Preissteigerung nicht erhöht. Das kommt einem langsamen Abschmelzen gleich oder die Finanzierung ist wackelig.“
Federschmidt: „Wir sorgen uns schon darum, dass die Schere zwischen dem realen Finanzierungsbedarf und dem, was die Stadt zahlt, weiter auseinandergeht.“
An welcher Stelle fließen denn zusätzlich Kirchenmittel in die Leistungen der Diakonie?
Federmann: „Der Tagesaufenthalt für Obdachlose an der Ludwigstraße wird lediglich anderthalb Stunden pro Tag und am Wochenende über die Stadt finanziert. Die restlichen Öffnungszeiten werden von Kirchensteuern bezahlt.“
Federschmidt: „Das gilt auch für andere Bereiche, wie zum Beispiel bei der Flüchtlingsberatung. Einen Teil der Flüchtlingsberatung würde es ohne die Kirchensteuern gar nicht geben. Da fragen wir ganz bewusst nicht nach der Refinanzierung durch die Stadt, weil es uns wichtig ist, dass die Beratung unabhängig stattfinden kann.“
Federmann: „Der größte Teil der Kirchensteuern fließt aber in unsere Kindertageseinrichtungen. Auch in der Ausbildung des Kita-Personals engagieren sich der Kirchenkreis und der Gesamtverband der Gemeinden sehr.“
Wie können sich Gemeinden und Diakonie darüber hinaus noch für die Menschen in der Stadt stark machen?
Federschmidt: „Gerade hat der Gesamtverband der Gemeinden einen Solidaritätsfonds beschlossen: Die Mehreinnahmen an Kirchensteuern, die durch die Energiepauschale entstanden sind, werden in diesen Fonds fließen – und sogar noch eine Summe darüber hinaus. Wir geben drei Euro pro Gemeindeglied hinein, das sind insgesamt 250.000 Euro.
Gemeinden haben damit die Möglichkeit, in Härtefällen Hilfe zu leisten und das über den Fonds abzurechnen. Gleichzeitig wird die allgemeine Sozialberatung bei der Diakonie dezentral an drei Stellen in Gemeinden vor Ort im Rahmen einer Vollzeitstelle ausgebaut. Außerdem können sich Ehrenamtliche in den Gemeinden von der Diakonie für Sozialberatungen schulen lassen. Wie genau das praktisch umgesetzt wird, wird gerade noch erarbeitet.“
Federmann: „Parallel dazu entwickeln wir mit der Caritas und der Gemeinschaftsstiftung der Sparkasse ein Bündnis und sammeln Spenden. So wollen wir Menschen, die durch Inflation und Kostendruck in Not geraten sind, unterstützen.“
Das zeigt, wie stark Kirche und Diakonie gemeinsam sind und wie viel sie bewirken können. Wie kann der Kontakt zwischen der Diakonie und den Gemeinden noch intensiviert werden?
Federschmidt: „Es gibt bereits eine enge Zusammenarbeit beispielsweise in der Quartiersarbeit mit einzelnen Gemeinden, in den Kindergärten, mit der Beratungsstelle und in der Flüchtlingsarbeit. In den sich bildenden Weggemeinschaften ergeben sich sicherlich auch noch weitere Chancen, die Diakonieeinrichtungen vor Ort stärker einzubinden. Um der Menschen willen, die unsere Hilfe benötigen, könnten wir sicherlich an der ein oder anderen Stelle noch erfinderischer werden. Und bei der Stärkung des evangelischen Profils der Diakonie spielt die Beteiligung der Gemeinden eine große Rolle.“
Mit Blick auf 2023: Was ist Ihnen besonders wichtig?
Federschmidt: „Jetzt beginnt erstmal die Arbeit für den Solidaritätsfonds und das Bündnis. Darüber hinaus werden uns die Themen Energiekrise und Geflüchtete weiter beschäftigen.“
Federmann: „Der Bund rechnet mit einer weiteren Flüchtlingswelle aufgrund der Zerstörung der Infrastruktur in der Ukraine. Da kommt noch einiges auf uns zu. Und die Gemeinden und die diakonischen Einrichtungen selbst sind natürlich auch von den Preissteigerungen betroffen.“
Federschmidt: „Wir müssen uns fragen, wie wir unsere Mittel möglichst hilfreich einsetzen können. Da sollten wir als Kirche Schwerpunkte setzen. Ganz wichtig ist es, dass wir dabei unsere innere Kraft und Quelle stark machen. Sonst laufen wir Gefahr, uns selbst zu überfordern.“