Hospizmitarbeiterin im Interview Gabriele Weber: „Trauer braucht einen Ort“
Wuppertal · Mit Gebeten und Kerzen erinnern die Kirchen am Ewigkeitssonntag (20. November 2022) an die Verstorbenen. Warum das für Trauernde wichtig ist, erklärt Hospizmitarbeiterin Gabriele Weber. Auch sie lädt mit dem Hospizdienst „Die Pusteblume“ zu einer Gedenkveranstaltung in die Neue Kirche Elberfeld ein.
Frau Weber, viele Trauernde kommen am Ewigkeitssonntag in die Gottesdienste, auch wenn sie sonst wenig mit der Kirche zu tun haben. Woran liegt das?
Weber: „Am Ewigkeitssonntag werden die Namen der Verstorbenen des Kirchenjahres verlesen und Kerzen für sie angezündet. Dieses Ritual spendet Trost und gibt Trauernden das Gefühl, nicht alleine zu sein. In der Kirche spüren sie trotz aller Traurigkeit eine gewisse Geborgenheit und Wärme, die ihnen guttut.“
Sind trauernde Menschen empfänglicher für Spiritualität und Glaube?
Weber: „Ich beobachte schon, dass viele offener für spirituelle Gedanken sind, weil sie sich mit sehr existenziellen Fragen nach Tod und Leben, Ewigkeit und Sinnhaftigkeit beschäftigen. Der Tod eines nahen Angehörigen ist ein starker Bruch im Leben, der viele Emotionen hervorruft. Für einen Teil der Trauernden ist der christliche Glaube ein starker Halt, der ihnen Kraft gibt, weiterzuleben und ihr Leben neu zu gestalten. Andere sind tief enttäuscht und hadern mit Gott.“
Erreicht die Kirche diese Menschen überhaupt?
Weber: „Manche suchen durchaus bei der Kirche Antworten auf die Frage ,Warum hat Gott mir das angetan?‘. Andere wollen das bewusst nicht. Aber gemeinsam ist vielen Menschen, dass sie sich in ihrer Trauer alleine fühlen und die Geborgenheit suchen, von der ich gerade gesprochen habe. Als Hospizdienst bieten wir deshalb am Nachmittag des Ewigkeitssonntags eine Veranstaltung in der Sophienkirche in Elberfeld an.
Es gibt bewusst keine Predigt oder Andacht, aber kleine Lesungen, Musik, Zeiten der Stille und natürlich die Möglichkeit, eine Kerze anzuzünden und auf den Altar zu stellen. Damit erreichen wir all die Menschen, denen Gottesdienste fremd geworden sind, die aber spirituelle Impulse suchen.“
Eine Kerze anzuzünden, Blumen aufs Grab legen: Wie wichtig sind solche Rituale?
Weber: „Ich halte sie für sehr wichtig, denn ich habe festgestellt, dass viele einen Ort suchen, an dem sie ihre Trauer ausdrücken können – eben durch diese kleinen Gesten oder Rituale. Das können die Kerzen in Kirchen sein, der Friedhof, aber auch andere Orte. Deshalb ist der öffentliche Trauerort am Loher Bahnhof an der Wuppertaler Nordbahntrasse wichtig für unsere Stadt. Ein Platz für Trauer, an dem Erinnerungskarten in den Baum gehängt werden können, ein Ort zum Innehalten, aber auch zum Reden, Kennenlernen anderer Menschen, die trauern.“
Dort bieten Mitarbeitende der vier Wuppertaler Hospizdienste jeden Donnerstag Gespräche an. Wird das in Anspruch genommen?
Weber: „Der Trauerort ist noch recht neu, aber es hängen schon viele Karten im Baum. Neulich war ich dort und kam mit einem kleinen Mädchen ins Gespräch, die mir ihre Karte zeigte, auf die sie für ihre schwer verletzte Mutter gemeinsam mit ihrer Oma Bilder geklebt hatte. Die Menschen nutzen diesen Ort also nicht nur zum Gedenken an die Toten, sondern suchen dort auch Trost, Hoffnung oder Versöhnung mit geplatzten Lebensträumen. Insofern glaube ich, dass dort viele Gespräche stattfinden können und werden.“
Viele suchen andere Menschen, die auch trauern. Wie findet man sie?
Weber: „Als Koordinatorin des Hospizdienstes Pusteblume führe ich regelmäßig Gespräche mit Menschen, die eine Trauerbegleitung suchen – entweder in Form einer festen Gruppe, eines offenen Treffs oder auch einer Einzelbegleitung. Da gibt es mittlerweile viele spezifische Angebote, aber oft haben Trauernde keine Kraft, selbst zu recherchieren. Das übernehme ich dann für sie. Den Schritt dorthin müssen sie selbst tun. Da sollte niemand gedrängt werden. Leider erleben das viele in ihrem Bekanntenkreis.
Am Trauerort weisen wir übrigens auf neue Internetseite hin, auf der sich alle Angebote für Trauernde in der Stadt befinden, von denen wir Kenntnis haben. Dazu gehören Angebote der ambulanten und stationären Hospizdienste, der Stadt Wuppertal und anderer Akteure wie etwa die Kirchengemeinden.“