Interview: Der NRW-Untersuchungsausschuss zur Kölner Silvesternacht „Das muss man auch benennen“
Wuppertal/Düsseldorf · Die Ereignisse in der Kölner Silvesternacht haben die deutsche Stimmung beim Thema Flüchtlinge verändert. In einem Untersuchungsausschuss des NRW-Landtages, der klären soll, was in Köln wirklich passierte, sitzt auch der Wuppertaler Abgeordnete Andreas Bialas.
Rundschau-Redakteur Stefan Seitz sprach mit ihm.
Rundschau: Der Ausschuss soll klären, welche Fehler und Verantwortlichkeiten bei staatlichen Stellen liegen. Die Öffentlichkeit nimmt ein großes Durcheinander wahr. Gibt es schon mehr Klarheit?
Bialas: Nach zahlreichen Sitzungen kristallisieren sich drei geographische Schwerpunkte heraus: Die Domplatte mit dem Bahnhofsvorplatz, das Bahnhofsinnere und die Hohenzollern-Brücke. Außerdem drei behördliche Zuständigkeiten. Die Bundespolizei, die Landespolizei und das Kölner Ordnungsamt. Das Geschehen erstreckte sich im Schwerpunkt von 22 Uhr Silvesterabend bis 5 Uhr morgens. Uns liegen rund 1.500 Anzeigen vor. Was sich mittlerweile andeutet ist, dass wohl die Masse der sexuellen Übergriffe im Bahnhofsgebäude passiert sind.
Rundschau: Warum ist das so wichtig?
Bialas: Den Opfern ist es herzlich egal, wo ihnen das angetan wurde. Aber es geht um Verantwortlichkeiten und notwendige Änderungen. NRW ist dabei, Lehren und Konsequenzen aus der Silvesternacht zu ziehen. Im Bahnhof ist aber die Bundespolizei zuständig. Hier muss Herr de Maiziere klären, wie Menschen zukünftig in den Bahnhöfen geschützt werden. In der Silvesternacht scheint es gerade dort zu deutlichen Überforderungen gekommen zu sein, es gab einen zu geringen Personalansatz, keinen unmittelbaren Kontakt zum Ordnungsamt und wohl auch keine beweissichere Filmdokumentation der Taten.
Rundschau: Entlastet das die stark in die Kritik geratene NRW-Polizei?
Bialas: Ein Stück weit schon, aber das ist nicht der Punkt. Wenn sich jedoch der für die Bundespolizei zuständige Bundesinnenminister hinstellt, und mit Blick auf die NRW-Beamten sagt, so könne Polizeiarbeit nicht laufen, ist das schon schwer zu ertragen. Es scheinen sich überall Fehler ergeben zu haben, in der Kommunikation, in der Wahrnehmung zugewiesener Aufgaben, in der Lagefeststellung, in einer Überforderung, in einem unzureichenden Ausbildungsstand.
Rundschau: Wo lagen die Probleme dieser aus dem Ruder gelaufenen Silvesternacht?
Bialas: Die Hohenzollernbrücke ist die aus dem Bahnhof führende Brücke mit den vielen Liebesschlössern. Sie war mit Fußgängern so überfüllt, dass teilweise Entfluchtungsmaßnahmen über die Gleise stattfanden. Die Bahn unterbrach weit über eine Stunde den Bahnbetrieb, zusätzlich sperrte die Bundespolizei die Vordereingänge zum Dom, der Bahnhof lief übervoll und wurde zur Falle. Das Ordnungsamt sollte die Sicherheit auf der Brücke sicherstellen, verschaffte sich aber keinen Überblick, sondern stand lediglich an den Brückenköpfen. Hinzu kam scheinbar, dass die Beteiligten vielfach nicht miteinander sprachen oder mangels Technik nicht sprechen konnten, dass sich für manche rein optisch gar nichts "aus dem Ruder Laufendes" gezeigt hat, dass es offenbar keinen wirklichen, für alle gültigen Sicherheitsplan gab. Übrigens sollte man sich zu Silvester auch nicht auf Handys verlassen. Weiterhin wusste die Landespolizeileitstelle nicht, was in der Stadt los war, die Bundespolizei hat niemanden verhaftet, weil für keine Unterbringung von Häftlingen gesorgt war, das Ordnungsamt hat die Situation auf der Brücke falsch eingeschätzt. Die Rolle des Ordnungsamtes hier ist wichtig, denn nach deutschem Gesetz sind für die kommunale Sicherheit und Ordnung zunächst die Städte verantwortlich. Erst dann die Polizei. Ich bin sicher, dass als Lehre aus dieser Nacht nächstes Silvester die Hohenzollern-Brücke komplett gesperrt sein wird.
Rundschau: Wie beurteilen Sie konkret die sexuellen Belästigungen und Diebstähle?
Bialas: Über die Klärung von staatlichen Verantwortungen darf man Opfer und Täter nie vergessen! Es sieht so aus, als sei es hier zwar auch um Diebstahl, vor allem aber um sexuelle Übergriffe, Grabschen bis hin zu Vergewaltigungen, gegangen. Im Bahnhof wurde beobachtet, wie Gruppen von zehn bis 15 Männern gezielt Frauen umringten, um sich an ihnen zu vergehen. Die Täter hatten einen hohen Mobilisierungsgrad, es gibt auch Zeugen für ihre spätere Abreise per Zug in größeren Gruppen. Eine solche Vorgehensweise in dieser Größenordnung war der Polizei bisher völlig unbekannt. Und es ist auch klar: Wenn bis zu 1.000 Nordafrikaner mit solch einer neuen Vorgehensweise aktiv werden, ist ihre Nationalität von hohem öffentlichen Interesse. Das muss man auch benennen.
Rundschau: Warum ist das ein Nationalitätenproblem?
Bialas: Es ist zunächst ein Problem dieser Gruppen. Sie unterscheiden sich deutlich von anderen Flüchtlingen insoweit, dass sie aus in sich zusammenfallenden Staaten von ihren Familien hierher geschickt werden, um sie zu Hause zu versorgen. Sie verdingen sich zu Dumpinglöhnen, in der Prostitution, gleiten in Drogenhandel ab und begehen leider auch überproportional Eigentumsdelikte. Anspruch auf Asyl haben sie kaum, die Bearbeitung ihrer Anträge dauert allerdings bis zu zweieinhalb Jahren. Es gibt bei diesen Männern wenig Interesse an Integration. Und NRW hat ein echtes Problem mit ihnen, denn 50 Prozent aller nordafrikanischen Flüchtlinge werden unserem Bundesland zugewiesen. Schon das allein kann nicht so bleiben.
Rundschau: Welche Konsequenzen müssen Ihrer Meinung nach gezogen werden?
Bialas: Bisher, und wir sind erst am Anfang der Untersuchung: Bessere Kommunikation, bessere Planung im Vorfeld, mehr Einsatzkräfte, klare Schnittstellen besetzen, Konzeption bezüglich des neuen Kriminalitätsphänomens, bessere Technik im Einsatz, bessere Ausbildung von Ordnungsamtsmitarbeitern und privat eingesetzten Sicherheitsdiensten. Außerdem brauchen wir Strafrechtsanpassungen: Wenn zehn oder mehr Männer eine Frau umringen und sie sexuell belästigen, ist die Täteridentifikation extrem schwierig. Hinzu kommt, dass es nicht sein kann, dass eine Frau in dieser extremen Situation anschließend jedem Täter auch noch seine exakte Handlung nachweisen muss. Sexuelle Gruppenbelästigung muss in Zukunft wie Bandenkriminalität behandelt und verfolgt werden. Außerdem muss die polizeiliche Pressearbeit besser werden. Dass die Leitstelle von all den Problemen in der Nacht nichts mitbekommt und am Tag darauf eine Pressemitteilung unter dem Motto "Alles paletti" veröffentlicht, darf einfach nicht sein.