Leser "Verhältnismäßigkeit muss gewahrt bleiben"

Wuppertal · Betr.: Polizeiliche Maßnahmen beim Demo-Einsatz am 16. Juni, Interview mit Andreas Bialas, Rundschau

1. Polizeiliche Maßnahmen, insbesondere im Verlaufe von Demonstrationen, aber auch in anderen Zusammenhängen, sind immer wieder Gegenstand öffentlichen Meinungsstreits und auch gerichtlicher Überprüfung. Verursacher und Veranlasser ist die Polizei selbst und nicht imaginäre Polizeifeinde. Die Polizei ist in unserem Staatssystem Teil des staatlichen Gewaltmonopols und nach Artikel 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden.

Gewaltausübung der Polizei muss also rechtmäßig sein. Jede Form rechtswidriger Gewalt durch die Polizei ist also niemals Bagatelle, niemals Kavaliersdelikt, sondern immer auch verfassungsfeindlich.
Rechtswidriges Handeln ist bereits gegeben, wenn die Handlung nicht verhältnismäßig ist. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist integraler Bestandteil der Rechtmäßigkeit. Soweit ganz einfach unsere rechtsstaatlichen Grundsätze.

2. Es hat nichts mit Polizeischelte zu tun und es hat nichts damit zu tun, die Schwierigkeit und Gefährlichkeit von Polizeiarbeit zu negieren, wenn rechtswidriges Polizeiverhalten unter die Lupe genommen wird. Schon ein Platzverweis, den die Polizei wie im Fall Lenz ausspricht, muss als polizeiliche Gefahrenabwehr verhältnismäßig sein.

Häufig sieht die Polizei (rechtswidrigerweise) die Gefahrenabwehrlage schon als gegeben an, wenn man sich nach dem Grund eines bestimmten Polizeiverhaltens erkundigt. Hier eskaliert die Situation sehr schnell. Klassiker dabei ist der breitbeinig sich aufbauende Polizist, der entweder unbeteiligt geradeaus stiert oder zu verstehen gibt, dass man den Mund zu halten hat. Hält man den Mund nicht, ist man sehr schnell Adressat eines Platzverweises. Die Idee, dass der beteiligte Bürger ein Recht hat, sich nach Polizeiverhalten zu erkundigen, ist entweder nicht Bestandteil der Ausbildung oder wird abtrainiert. Weitere Eskalationsstufen folgen meist. Oder wie im Fall des vor kurzem misshandelten Professors in Bonn, der ohne Zutun eine Komplettaggression der Polizei abbekommen hat.

Ich rede hier nicht von den Fällen, in denen die Polizei aggressiv attackiert wird. Ich rede von den Fällen, die in denen das Aggroverhalten von der Polizei ausgeht, die von der Polizeibehörde gerne vertuscht werden.

3. Häufig hat solchermaßen rechtswidriges Verhalten bei der Polizei noch andere ständige Begleiter: Abstreiten des Geschehenen, Drohung mit Gegenanzeigen oder wirkliche Gegenanzeigen bis hin zu Falschaussagen im Gerichtsverfahren, d.h. aus Feigheit steht der Beamte nicht einmal zu seinem, aus seiner Sicht doch eigentlich rechtmäßigen Verhalten. Dazu gesellt sich, wie es auch Herr Bialas schildert, das unsägliche Kameradentum, das alle Kritiker zu Außenfeinden macht. Dabei äußert sich Herr Bialas noch recht zurückhaltend, denn Polizeibeamte, die ihn wegen des veröffentlichten Videos "persönlich angegangen" sind und "beleidigt" haben, stehen meines Erachtens gar nicht mehr auf dem Boden der Rechtstaatlichkeit. Sie haben ihn selbst verlassen, genauso wie die von Herrn Bialas genannten CDUler. In diesen Kontext gehört auch Rainer Wendt von der Deutschen Polizeigewerkschaft, dessen Stärke rechtslastiger Populismus ist und der es selbst in Sachen doppelter Bezüge mit der Wahrheit nicht so genau nimmt.

4. Die notwendige Aufmerksamkeit bei polizeilichem Handeln darf sich nicht beschränken auf die großen Polizeiskandale (vergleiche nur Tod eines Asylbewerbers im Polizeigefängnis, Falschermittlungen in der NSU-Affäre, Aktenvernichtungen). Die Aufmerksamkeit beginnt besser bereits im unrechtmäßigen Platzverweis.

Die Vorgabe des Grundgesetzes, dass die Exekutive, und damit auch die Polizei, an Gesetz und Recht gebunden ist, bedarf zivilgesellschaftlicher und institutioneller Kontrolle. Der erste Schritt — wie immer bei Zivilcourage — ist, hinzuschauen, nicht wegzuschauen.