Nicht einfach „verbrauchen“

Betr.: Primark-Eröffnung, Rundschau-Leserbrief vom 9. April

Herr Schneider propagiert in seinem Leserbrief die Mündigkeit des Verbrauchers, die zu einer selbstbestimmten Kaufentscheidung führen werde.

Hierbei nutzt er bestimmte Formen der Rhetorik, um ja keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, dass er mit seiner Meinung die große Mehrheit der Leser hinter sich weiß.

Bekannte Fakten wie zum Beispiel die Fabrikation der Textilien in Billiglohnländern, die zudem auch von den großen und teuren Herstellern genutzt werden, sowie der angeblich zu einseitige Protest gegen Primark führen zu einer gedanklichen „Ja-Kette“ der Leser, die sich daraufhin folgerichtig dagegen verwehren, auf Grund ihrer Kaufentscheidung gemeinsam mit Primark „an den Pranger“ gestellt zu werden.

Herr Schneider übersieht mit seinem an neo-liberalen Grundsätzen orientierten Leserbrief allerdings, dass die „Selbstständigkeit“ untrennbar mit dem Begriff der „Verantwortung“ verbunden ist. Dieser Verantwortung scheint sich Herr Schneider gegenüber dem gewaltigen grundwassergefährdenden Wasserverbrauch für den Anbau der Baumwolle, der gesundheitlichen Gefahren durch Chemikalien bei der Herstellung der Gewebe, der Ausbeutung der Näherinnen in Bangladesch und anderen Ländern nicht stellen zu wollen.

Stattdessen postuliert er eine Freiheit des Konsums, die unter anderem durch Werbung, aber auch politische, wirtschaftliche und soziale Gegebenheiten eben keine Selbstständigkeit vermittelt, sondern deren Protagonisten die Bürger ausschließlich, wie Herr Schneider es selbst formuliert, als „Verbraucher“ ansehen, die gefälligst die Produkte einer Primark-Kette zu „verbrauchen“ haben.

Zwar werden die Käufer nach dem ersten Waschen dieser „Bekleidungsstücke“ feststellen, dass selbige möglicherweise ziemlich bald in die Mülltonne geworfen werden können. Auf diese Weise wird jedoch Platz für Neues geschaffen und der Kreislauf des unbevormundeten Konsums kann weiterhin fröhlich vonstatten gehen.

Irgendwann aber werden auch diese Konsumenten merken, dass sie der angeblich billige Einkauf auf Dauer sehr teuer zu stehen kommt.

Diese Verschwendung und den nahezu unbegrenzten Ressourcen-Missbrauch entschuldigt Herr Schneider geradezu, indem er die Primark-Kunden als unschuldige Opfer einer Diffamierungskampagne darstellt, verurteilt von den „Papp-Plakaten-Protestlern“, die unsere freiheitlich-demokratische Kaufordnung mit ihren Aktionen auf geradezu unverantwortliche Weise zu gefährden scheinen.

Was Herr Schneider allerdings nicht beachtet, ist die Tatsache, dass es immer mehr „sogenannte Weltverbesserer“ (O-Ton Herr Schneider) gibt (siehe die „Fridays For Future“-Bewegung), die die Wirtschaftskreislauf-Vorstellungen der neo-liberalen Hinterbänkler als altbacken und wenig zukunftsgemäß erkannt haben und sich diesem absurden Konsumverhalten widersetzen – ein Verhalten, was sich die Bewohner dieser Erde ab sofort und auf Dauer einfach nicht mehr leisten können.

Es ist bezeichnend, dass er mittels einer zum Teil negativ konnotierten Wortwahl – wie zum Beispiel die besagten „Weltverbesserer“ oder auch die „20 oder 30 Protestler mit Papp-Plakaten“ –versucht, sich dem positiven Trend zur Wiederverwertung (nicht nur) von Textilien und zu Reparaturen statt eines Neukaufs entgegen zu stellen.

Immer mehr Menschen kaufen in Second-Hand-Läden, auf Bio-Höfen oder in „Unverpackt“-Läden ein. Will sich nun Herr Schneider im Gegenzug vor einem dieser Läden postieren, mit einem Papp-Plakat in seiner Hand und der Aufschrift „Kauft bei Primark! Rettet unsere schöne alte Konsum-Welt!“?

Sicherlich leben in unserer Gesellschaft viele Menschen, die auf den Kauf von preiswerten Textilien und Lebensmitteln angewiesen sind. Aber sie gibt es – die vielen und besseren Alternativen zu Primark, KiK und Konsorten (siehe oben)!

Für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und eine positiv zu gestaltende Zukunft benötigen wir selbstbestimmte UND verantwortungsbewusste Bürger (ausdrücklich nicht „Verbraucher“) und keine „Grenzenloskonsumieren-Propagandisten“ mit Rezepten von vorgestern.

Roland vom Sondern