Im Theater am Engelsgarten: Drama "Gift. Eine Ehegeschichte". Kein Lichtstrahl, nirgends
Wuppertal · Requiem für ein Kind als Überlebenskampf zweier verlorener Seelen: Philippine Pachl und Thomas Braus brillieren im Theater am Engelsgarten in Lot Vekemans Drama "Gift. Eine Ehegeschichte".
Am 31. Dezember 1999 ist er gegangen. Um zehn nach sieben. Weil er unmöglich das Glas erheben konnte auf das neue Jahr, sagt er. Weil er die Trauer und den Schmerz nicht mehr ertragen konnte. Seinen — und den seiner Frau. Weil er leben wollte. Leben, obwohl der gemeinsame Sohn gestorben war.
Zehn Jahre ist das her. Nun sehen sich die ehemaligen Partner das erste Mal wieder. In der Wartehalle des Friedhofs, auf dem der Sohn begraben ist. Gift hat sie her geführt. Weniger das, was angeblich den Boden verseucht und weshalb das Grab nun verlegt werden soll. Vielmehr das, das sich durch dieses Grauen in ihren Herzen breit gemacht hat. Dieses Gift ist es, das die Eltern vereint — und zugleich unendlich weit voneinander entfernt hat. Zuerst innerlich, schließlich auch räumlich. Er lebt in Frankreich, in einer Beziehung und seine neue Frau ist schwanger. Sie ist seit dem Tod des Sohnes und dem Weggang des Mannes in dem verharrt, was ihr geblieben ist: in der Erinnerung, dem Schmerz, der Trauer.
Das sind die Koordinaten, zwischen denen die niederländische Autorin Lot Vekemans ihr Drama "Gift. Eine Ehegeschichte" anordnet, das am vergangenen Wochenende in der Inszenierung von Jos van Kan im Theater am Engelsgarten Premiere hatte. Siegfried E. Mayer hat dazu ein ebenso einfaches wie prägnantes Bühnenbild geschaffen. Kaum ein Lichtstrahl verirrt sich in die tiefschwarze Friedhofshalle, die nichts bietet als eine schmale Bank, und auf deren Wänden zeitweise das Antlitz des toten Kindes den Raum erleuchtet.
Das bedrückende Kammerspiel konzentriert sich allein auf die Kraft der beiden grandiosen Schauspieler Philippine Pachl und Thomas Braus. Während der Wuppertaler Publikumsliebling einen an der Oberfläche kühlen, rationalen Mann gibt, der erst nach und nach die Pein in seinem Inneren offenbart, wirft sich Philippine Pachl mit Wucht in jede Emotion. Routiniert stichelt sie, stochert in alten Wunden, die sie bei ihrem Ex-Mann ganz bewusst aufreißen will, weil sie in seiner Kühle nach etwas sucht, was ihr Beistand ist, sie rettet.
Der anfänglich unsicheren Kommunikation zweier Menschen, die sich völlig fremd zu sein scheinen, folgt alsbald ein Orkan aus Vorwürfen, Anschuldigungen, Bitterkeit, Verzweiflung — aber auch leisem Humor und zartem Trost. Wie schonungslos Pachl diese verwüstete Seele freilegt, wie sie vor Schmerz schreit und tobt, sich verloren auf dem Boden krümmt, mit den Tränen ringt, das ist für die Zuschauer mitunter nur schwer zu ertragen — so wahrhaftig ist das.
"Es ist verrückt", sagt er an einer Stelle, "wie oft ich etwas tue, was ich eigentlich nicht will. Und nicht tue, was ich eigentlich wirklich will." Eine Art Schlüsselsatz für diese beiden Figuren, die es trotz aller Anstrengung nicht schaffen, aus ihren Schutzhüllen zu treten und klar zu sagen, was sie sich voneinander erhoffen. Das ist bitter, aber dank Pachl und Braus ein Ereignis, dem man 80 Minuten lang gebannt zuschaut.