Kommentar zur Idee eines gemeinsam finanzierten ÖPNV-Bürgertickets Wäre Wuppertal solidarisch?
Wuppertal · Stimmt es, dass wir in Zeiten des "Ego-Kultes" leben — und Solidarität keine Konjunktur mehr hat? Am Montag stand ein Abend in der Politischen Runde der VHS genau unter diesem Motto. Heute vor einer Woche hat die "Initiative Bürgerticket Wuppertal" ihr umfangreiches Konzept für einen gemeinsam finanzierten ÖPNV-Fahrausweis vorgestellt.
Angesichts der Leserbriefe, die unsere Redaktion daraufhin erreichten, müsste man sagen: Nein, Wuppertal wäre wohl nicht solidarisch. Wobei Leserbriefe natürlich kein repräsentativer Spiegel der Meinung der Bevölkerung sind.
"Zwangsabgabe" ist hier einer der am meisten verwendeten Begriffe. Meine Frage: Gäbe es den ÖPNV für alle umsonst, und er würde, um ihn gratis zu machen, aus Steuern (woraus auch sonst?) finanziert, wäre das dann keine "Zwangsabgabe"?
Was hinter dem Ganzen steckt, ist viel mehr. Die Finanzierung des (immer defizitären) öffentlichen Nahverkehrs muss in Zukunft auf andere Beine gestellt werden. Das bisherige Bezahlen per üppig sprudelnder Energie-Einnahmen der WSW wird auf lange Sicht nicht mehr funktionieren. Schon jetzt werden die Busfahrpreise in schöner Regelmäßigkeit erhöht — außerdem die Buslinien ausgedünnt. Um Geld zu sparen. Der Aufschrei vieler Bürger deswegen ist laut — und nachvollziehbar.
Ein solidarisches Bürgerticket — so die Überzeugung der Initiative — würde das ändern: Ein Ticket zu einem Preis für alle. Beziehungsweise zu drei Preisen — je nach Einkommen. Ausnahmen für kleine Kinder, Schüler, Behinderte, Touristen, Menschen in weit entfernten Außenbezirken und weitere mehr gäbe es auch. Studenten haben eh ihr eigenes Ticket.
Die Macher des Bürgerticket-Konzeptes sind außerdem überzeugt, dass ihre Idee deutlich mehr Geld für den Nahverkehr bringt, als ihm jetzt zur Verfügung steht. Dieses Geld soll(t)e in die Verbesserung des Systems investiert werden: Schnellerer Takt, mehr moderne Busse, bessere Anbindung der Außenbezirke, viel mehr Angebot. Außerdem: Einstieg überall im Bus (nicht nur vorn!), keine leeren Dienstfahrten mehr — und Quasi-Wegfall der Fahrscheinkontrollen.
Für mich klingt das überzeugend. Die Idee der Initiative lässt viel Spielraum, um die Einkommensunterschiede der Menschen auszugleichen. Außerdem glaube ich fest daran, dass viele, die fast immer mit dem Auto fahren, dann öfter auf Bus oder Schwebebahn wechseln würden. Man müsste nicht mehr über lästige Fahrscheinstaffelungen und Co. nachdenken — man würde einfach einsteigen. Und bitte nicht vergessen: Weniger Verkehr auf den Straßen nützt auch denen, die immer Auto fahren. Der Umwelt sowieso.
WSW-Mobil-Chef Ulrich Jaeger gab sich am Montag skeptisch — und angesichts von vielen Pendlern die Probleme einer "Wuppertaler Insellösung" zu bedenken. Jaegers Meinung nach wäre das Solidarische Bürgerticket nicht gerecht. Sein WSW-Aufsichtsrats-Chef, der SPD-Landtagsabgeordnete Dietmar Bell, schreibt im Bürgerticket-Konzept: "Ich finde die Idee des Solidarischen Bürgertickets reizvoll, weil sie ein transparentes und einfach nachvollziehbares Instrument darstellt. Entscheidend wird die Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz sein und dabei spielt sicherlich die gute ÖPNV-Versorgung eine entscheidende Rolle." Stimmt beides. Die "Pendlerfrage" muss gelöst, der VRR-Dschungel gelichtet werden. Entscheidend ist, ob die Bürger mitziehen. Mit mehr und besseren Bussen plus schnelleren Takten wäre viel erreicht. Und eventuell mit einer Anpassung der geplanten Preise.
Man kann und sollte sich informieren. Her mit einem Modellversuch!